Physik

Neue Art von Magnetismus entdeckt

Bewegliche Elektronen erzeugen Ferromagnetismus auf ungewöhnliche Weise

kinetischer Magnetismus
Physiker haben eine neue Form des Magnetismus (rechts) entdeckt, bei dem sich die Elektronenspins des Materials parallel ausrichten, um die kinetische Energie mobiler Ladungsträger zu minimieren. Links zum Vergleich ein nichtmagnetisches Material mit ungeordneten Spins. © ETH Zürich

Verblüffender Effekt: Physiker haben eine neue Art des Magnetismus entdeckt – eine durch mobile Elektronen erzeugte Gleichrichtung der Spins. Dieser zuvor noch nie in Festkörpern nachgewiesene kinetische Magnetismus trat auf, als das Team zwei hauchdünne Lagen der Halbleiter Molybdän-Diselenid und Wolframsulfid aufeinanderlegte und unter Spannung setzte. Ab einer bestimmten Elektronendichte wurde das Material plötzlich ferromagnetisch, ohne dass die sonst üblichen Wechselwirkungen dafür verantwortlich waren.

Vom Küchenmagneten bis zum Geodynamo unserer Erde: Die meisten Magnete funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Weil die Spins ihrer Atome alle in die gleiche Richtung zeigen, entsteht ein magnetisches Feld. Bei nichtmagnetischen Materialien dagegen sind die Spins ungerichtet, so dass sich ihr Effekt gegenseitig aufhebt. Beim gängigen Ferromagnetismus entsteht die Spin-Gleichrichtung durch die sogenannte Austauschwechselwirkung, die die geordnete Ausrichtung trotz der normalerweise wirksamen Abstoßung der Elektronen energetisch günstiger macht.

Graphengitter
Moiré-Materialien entstehen, wenn man zwei verschiedene Atomgitter stapelt oder zwei einatomige Lagen des gleichen Gitters – wie hier Graphen – versetzt aufeinanderlegt. Durch die Abweichungen in der Gitterstruktur können neue Eigenschaften entstehen. © iLexx/ Getty images

Verschobene Gitter

Doch es geht auch anders, wie nun ein Experiment von Physikern um Livio Ciorciaro von der ETH Zürich beweist. Für ihre Studie hatten sie die magnetischen Eigenschaften eines Moiré-Materials näher untersucht. Diese Materialien bestehen aus zwei jeweils nur eine Atomlage dicken Schichten. Dabei kommt es zu Wechselwirkungen zwischen den zweidimensionalen Atomgittern, die diesen Materialien ungewöhnliche Eigenschaften verleihen – Graphen wird dann beispielsweise zum Supraleiter.

„Solche Moiré-Materialien haben in den letzten Jahren großes Interesse geweckt, da man mit ihnen Quanteneffekte von stark wechselwirkenden Elektronen in Festkörpermaterialien sehr gut untersuchen kann“, erklärt Seniorautor Ataç Imamoğlu von der ETH. „Über ihre magnetischen Eigenschaften aber war bisher wenig bekannt.“ Deshalb haben Imamoğlu und sein Team dies nun für ein solches Moiré-Material aus zwei verschiedenen Halbleitern untersucht.

Halbleiter-Doppelschicht unter Spannung

Für ihr Experiment legten die Physiker zwei Gitterlagen – eine aus Molybdän-Diselenid (MoSe2) und eine aus Wolframsulfid (WS2) – übereinander. „Die unterschiedlichen Gitterweiten und ein abweichender Winkel zwischen den beiden Monoschichten erzeugt ein Moiré-Supergitter“, berichtet das Team. Die Stellen, an denen die Metallatome der beiden Gitterschichten zusammentreffen, bilden dabei ein dreieckiges Muster, an dem sich Elektronen bevorzugt anlagern.

Die Physiker legten nun eine allmählich zunehmende Spannung an diese Doppelschicht an und beobachteten mithilfe der konfokalen Lasermikroskopie das Verhalten der Elektronen und die Ausrichtung ihrer Spins. Letzteres lässt sich an der Polarisierung des eingestrahlten und wieder reflektierten Laserlichts ablesen. Die Ausrichtung der Spins wiederum verrät, ob das Material magnetisch ist oder nicht.

Plötzlich ferromagnetisch

Es zeigte sich: Wenn die zugeführte Spannung nur ausreichte, um einen der Teil der Moiré-Gitterplätze mit einem Elektron zu besetzen, blieb das Doppel-Material paramagnetisch – die Elektronenspins zeigten in unterschiedliche Richtungen und das Moiré-Material hatte keine magnetische Anziehungskraft. Das änderte sich jedoch, als die Spannung erhöht wurde: War jeder Gitterplatz mit mindestens einem oder mehr Elektronen belegt, wurde das Halbleiter-Doppel plötzlich und ohne lange Übergangsphase ferromagnetisch.

Das Merkwürdige jedoch: „Eigentlich sollten die magnetischen Eigenschaften bei dieser Konfiguration ausschließlich durch Austauschwechselwirkungen bestimmt sein“, erklären Ciorciaro und seine Kollegen. Doch in Bezug auf diese Interaktionen müsste das Moiré-Material eigentlich auch bei erhöhter Elektronendichte weiter paramagnetisch sein, wie Analysen ergaben. „Das war ein schlagender Hinweis auf eine neue Art von Magnetismus, die durch die Austauschwechselwirkung nicht erklärt werden kann“, sagt Imamoğlu.

Parallele Spins für mehr Beweglichkeit

Wie aber kommt der Magnetismus bei diesem Doppelschicht-Material dann zustande? „Wir schreiben das beobachtete Magnetverhalten dem Nagaoka-Mechanismus zu“, erklären die Forscher. Dieser Mechanismus wurde bereits 1966 vom japanischen Physiker Yosuke Nagaoka theoretisch vorgesagt, aber in einem ausgedehnten Festkörper noch nie nachgewiesen. Demnach können mobile Ladungsträger die geordnete Spin-Ausrichtung in einem Material bewirken, wenn dies ihre kinetische Energie senkt.

Einfacher ausgedrückt: Wenn alle Elektronenspins parallel stehen, können die mobilen Elektronen sich ungestört und effizient durch das Material bewegen. Sie lagern sich dann zu Paaren, sogenannten Doublons, zusammen und tunneln in dieser Form durch das Gitter. Wären dabei die Elektronenspins ungeordnet, würden sie wie ein störendes Dickicht wirken und diese Ausbreitung erschweren.

Erster Nachweis des kinetischen Magnetismus im Festkörper

Damit haben die Physiker eine neue Form des Magnetismus nachgewiesen. Ihr Moiré-Halbleiter wurde durch den Nagaoke-Mechanismus ferromagnetisch – es ist der erste Nachweis dieses kinetischen Magnetismus in einem ausgedehnten Festkörper. „Bislang wurden solche Mechanismen für kinetischen Magnetismus nur in Modellsystemen nachgewiesen, die beispielsweise aus vier Quantenpunkten bestehen“, erklärt Imamoğlu.

Das Team möchte nun die Eigenschaften dieses neuartigen Magnet-Materials weiter untersuchen. Unter anderem wollen sie herausfinden, ob der Ferromagnetismus auch bei höheren Temperaturen erhalten bleibt. Denn im aktuellen Experiment war das Material auf ein Zehntel Grad über dem absoluten Nullpunkt heruntergekühlt, um die Elektronenausrichtung besser nachvollziehen zu können. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06633-0)

Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

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