Wichtiger Meilenstein: Der Fusions-Testreaktor Wendelstein-7X in Greifswald hat einen neuen Höchstwert für den Energieumsatz des Plasmas erreicht. Am 15. Februar 2023 lief die Anlage acht Minuten lang bei 1,3 Gigajoule. Das Fusionsplasma im Reaktor vom Typ Stellarator erreichte damit einen neuen Rekord für die Entladungsdauer und Heizleistung. Möglich wurde dies durch umfangreiche Umbauten, darunter ein neues Heizsystem und eine besonders umfassende Kühlung der Reaktorwand.
Kernfusion gilt als möglicher Energielieferant der Zukunft. Dafür sind zurzeit verschiedene Reaktortypen in der Erprobung. Dazu gehören Laserfusions-Anlagen wie der National Ignition Facility in den USA, die vor kurzem eine Zündung des Fusionsplasmas erreichte. Andere Testreaktoren setzen auf einen Plasmaeinschluss durch starke Magnetfelder, je nach ihrer Form werden dabei Tokamak-Anlagen wie JET oder der Großreaktor ITER und Stellarator-Reaktoren wie Wendelstein 7-X unterschieden.
Größter Stellarator weltweit
Wendelstein 7-X in Greifswald ist die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator. Ein Ring aus 50 supraleitenden Magnetspulen erzeugt ein komplex in sich verwundenes Magnetfeld, das das heiße Fusionsplasma einschließt. Anders als Tokamaks, die ihr Plasma immer nur in kurzen Intervallen zur Fusion bringen können, kann ein Stellarator im Dauerbetrieb laufen – und wäre daher theoretisch für ein Kraftwerk besser geeignet. Die Testanlage Wendelstein-7X soll dies unter Beweis stellen.
Der deutsche Stellarator hat im Februar 2016 sein erstes Wasserstoff-Plasma erzeugt und im Juni 2018 einen Weltrekord für das sogenannte Fusionsprodukt erreicht, die Kombination aus Plasmahitze, Dichte und Einschlusszeit. Nach diesem Erfolg wurde Wendelstein 7-X drei Jahre lang umgebaut und unter anderem mit einer Wasserkühlung der Wandelemente und mit einem erweiterten Heizsystem ausgestattet. Dadurch kann der Fusionsreaktor nun doppelt so viel Energie in das Plasma einbringen wie vorher.
1,3 Gigajoule für acht Minuten
Jetzt hat Wendelstein-7X dabei einen weiteren Meilenstein erreicht: Erstmals haben Physiker in dieser Anlage einen Energieumsatz von 1,3 Gigajoule gemessen. Dies steigert sie den Bestwert aus der Zeit vor dem Umbau gleich um das 17-fache. Die 1,3 Gigajoule wurden mit einer durchschnittlichen Heizleistung von 2,7 Megawatt erreicht, die Entladung hielt mehr als 480 Sekunden an – auch das ist ein neuer Rekord für diesen Fusionsreaktor und einer der besten Werte überhaupt.
„Wir tasten uns jetzt an immer höhere Energiewerte heran“, erklärt Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald. „Dabei müssen wir Schritt für Schritt vorangehen, um die Anlage nicht zu überlasten und zu beschädigen.“
Dreiteilige Plasmaheizung liefert die Energie
Für den aktuellen Rekord von Wendelstein 7-X verantwortlich ist vor allem das dreiteilige System zur Plasmaheizung. Die erste Komponente ist eine Heizung durch Neutralteilcheninjektion, bei der ein Strahl beschleunigter Wasserstoffatome ins Plasma eingeschossen wird. Die Teilchen übertragen ihre Energie durch Kollisionen an die Plasmateilchen und heizen es dadurch auf. Die zweite Heizung nutzt Radiowellen, um Ionen im Plasma zum Schwingen zu bringen und es so aufzuheizen – ähnlich wie bei einer Mikrowelle.
Bei der dritten Komponente, der Mikrowellen-Elektronenheizung funktioniert dies ähnlich, nur dass hierbei Mikrowellen die Elektronen des Plasmas in Schwingungen versetzen. Weil sie über Zeiträume von mehreren Minuten hinweg große Energiemengen auf das Plasma übertragen können, ist diese Heizungskomponente besonders wichtig für den Energieumsatz der Fusion, wie Klinger und sein Team erklären.
Wandkühlung mit 657 unabhängigen Kühlkreisläufen
Ebenfalls wichtig für den sicheren Betrieb des Fusionsreaktors sind jedoch besonders hitzebeständige, gekühlte Divertor-Prallplatten. Sie sind Teil der Innenwand von Wendelstein 7-X und müssen daher extrem hohe Temperaturen aushalten. Gleichzeitig sollen sie die vom Plasma getragenen Energiemengen und Teilchen abführen und somit deren Kontakt mit der Gefäßwand sowie die Verunreinigung des Plasmas verhindern.
Beim Umbau der Fusionsanlage wurden 120 neue Divertor-Module mit Kühlsystem eingebaut, 657 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe leiten die im Plasma entstehende und auf die Wandmodule übertragene Hitze dabei über insgesamt 6,8 Kilometer Rohre ab. Dadurch kann Wendelstein 7-X nun mit deutlich höheren Plasmaenergien betrieben werden. Keine andere Fusionsforschungsanlage weltweit verfügt heute über eine so umfassend gekühlte Wand.
Doch das ist erst der Anfang, wie die Physiker erklären: Innerhalb weniger Jahre, so der Plan, soll der Energieumsatz bei Wendelstein 7-X auf 18 Gigajoule gesteigert werden, wobei das Plasma dann für eine halbe Stunde lang stabil gehalten werden soll.
Quelle: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik