Was waren die spannendsten Entdeckungen und Durchbrüche in der Physik des Jahres 2024? Die Top Ten hat nun das Magazin „Physics World“ gekürt. Zu ihnen gehören Mini-Laser, die Fehlerkorrektur bei Quantencomputern, ein Graphen-Halbleiterchip und neue Einblicke in den Atomkern. Aber auch die ersten Proben von der Rückseite des Mondes und eine verblüffend simple Methode, um Gewebe durchsichtig zu machen, sind unter den physikalischen Jahres-Highlights.
Jedes Jahr küren die Herausgeber des Magazins „Physics World“ zehn Jahres-Highlights aus der Welt der Physik. Kriterien für die Auswahl: Die Arbeit muss bedeutend sein, das Wissen signifikant erweitern, eine starke Verbindung zwischen Theorie und Experiment zeigen und von allgemeinem Interesse für alle Physiker sein. 2022 gehörten das Tetraneutron und das James-Webb-Teleskop dazu, im Jahr 2023 war es ein Falltest für Antimaterie und überschallschnelle Risse im Diamant.
Jetzt stehen die Top Ten der Physik für das Jahr 2024 fest. Sie bilden keine Rangfolge, sondern sind in thematisch zusammengefasster Reihung aufgeführt.
Graphen-Halbleiterchip und Fehlerkorrektur bei Quantencomputern
Den Anfang macht eine Errungenschaft aus der Halbleiterforschung: Im Januar 2024 gelang es einem Forschungsteam erstmals, einen Halbleiter-Chip aus Graphen herzustellen. Ein solcher Chip aus dem einlagigen Kohlenstoffnetz könnte die Basis für eine kohlenstoffbasierte, schnellere Elektronik bilden. In ersten Tests bewegten sich Ladungen im anregten Graphen-Halbleiter tatsächlich bereits zehnfach schneller als in Silizium, zudem entstand weniger Wärme als bei gängigen Halbleiter-Bauteilen.
Einen weiteren Durchbruch gab es bei der Fehlerkorrektur von Quantencomputern: Ein Team von Google Quantum AI stellte im Dezember 2024 erstmals einen Quantenchip auf Basis supraleitender Qubits vor, dessen Fehlerrate bei Skalierung abnimmt statt zuzunehmen. „Zum ersten Mal haben unsere Forscher experimentell demonstriert, dass man die Fehler bei zunehmender Qubitzahl reduzieren kann“, sagte Google-CEO Sundar Pichai. Dies gelang dem Team durch die Kombination mehrerer Daten-Qubits zu logischen Einheiten und die Einfügung von zusätzlichen Mess-Qubits.
Auf ähnliche Weise ist es Anfang 2024 einem zweiten Forschungsteam gelungen, auch die Fehlerraten eines Quantencomputers mit atomaren Qubits deutlich zu reduzieren. Ihr 48-Qubit-System zeigt ebenfalls eine effektive Echtzeitfehlerkontrolle. „Damit tragen die grundlegenden Ideen zur Fehlerkorrektur und Fehlertoleranz bei Quantensystemen langsam Früchte“, sagt Projektleiter Mikhail Lukin von der Harvard University.
Mini-Laser und gekühlte Antimaterie
Auch zwei Errungenschaften aus der Welt der Laser gehören zu den Top Ten. Bei der ersten gelang es einem Physikerteam erstmals, den für Forschung und Technik wichtigen Titan:Saphir-Laser zu miniaturisieren. Das neue Laserbauteil ist nur wenige Millimeter groß und ihm reicht zur Anregung ein gängiger grüner Laserpointer. Dennoch behält auch dieser kostengünstige Mini-Laser die hohe Leistung und Bandbreite der gängigen Titan:Saphir-Laser.
Das zweite Laser-Highlight ist die erste Laserkühlung von Positronium, einer Vorstufe des Antiwasserstoffs und für die Erforschung der Antimaterie wichtigen Teilchens. Dank eines Lasermediums aus dem Mineral Alexandrit und einer speziellen Vakuumkammer gelang es den Physikern der AEgIS-Kollaboration am CERN, das Positronium von plus 106 auf minus 103 Grad abzukühlen. Dies verringert die Eigenbewegung dieser Teilchen und ermöglicht so weitere Studien.
Transparente Gewebe und quantenkodierte Bilder
Um buchstäblich neue Einblicke geht es hingegen in einem weiteren Eintrag der Top-Ten. Im September 2024 stellten Forschende eine einfache, reversible und unschädliche Methode vor, um Haut und Gewebe lebender Tiere durchsichtig zu machen – auch bei uns Menschen könnte dies funktionieren. Das Überraschende daran: Für diesen Durchblick genügt es, die Haut einfach mit der Lebensmittelfarbe Tartrazin einzureiben. Sie verändert die Lichtbrechung der Gewebe auf bioverträgliche und reversible Weise und macht sie transparent.
Im Bereich der Photonik hat ein Team der Sorbonne-Universität eine nichtlineare Optik genutzt, um ein Bild in den Quantenkorrelationen verschränkter Photonen zu kodieren. Sichtbar wird dieses Bild aber nur, wenn der Empfänger die Photonen mit einer Einzelphotonen-Kamera einfängt und mit speziellen Algorithmen dekodiert. Diese neue Form von „Quantenbildern“ ist dadurch kompakt und gleichzeitig verschlüsselt. Durch leichte Abwandlung dieses Prinzips gelang es den Physikern zudem, auch die Auflösung von Quantenmikroskopen weiter zu erhöhen.
Radioaktiver Zerfall und Paarbildung im Atomkern
In der Teilchen- und Kernphysik gab es 2024 ebenfalls zwei Highlights. Im Juli 2024 stellten US-Physiker eine neue Methode vor, um den Zerfall radioaktiver Atome und anderer kurzlebiger Teilchen zu detektieren. Der Clou dabei: Gemessen wird der winzige Rückstoß, den das zerfallende Teilchen beim „Absprung“ von einem in der Schwebe gehaltenen Glaskügelchen erzeugt. Das System ist so sensibel, dass es Kräfte von nur 10-20 Newton und Beschleunigungen von 10-7 g messen kann. „Das könnte uns auch dabei helfen Teilchen zu detektieren, die wir sonst nicht messen können“, erklärt David Moore von der Yale University.
Das zweite Highlight bildet eine Studie, in der Physiker die Paarbildung von Nukleonen im Atomkern erstmals bis auf Quark-Gluon-Ebene untersucht haben. Im Fokus standen dabei Paare aus zwei Protonen, zwei Neutronen oder gemischte Paare. „Wir konnten erstmals zeigen, dass sich Quarks und Gluonen in diesen Paaren anders verhalten als in freien Nukleonen und auch anders als bisher in Atomkernen erwartet“, berichtet Tomáš Ježo von der Universität Münster. Demnach nimmt die Häufigkeit der Paare mit der Kernmasse zu und gemischte Proton-Neutron-Paare sind besonders häufig.
Erste Proben von der Mondrückseite und Krebstherapie
Auch ein Durchbruch aus der Raumfahrt hat es in diesem Jahr auf die Top-Ten-Liste der „Physics World“ geschafft: Im Juni 2024 brachte die chinesische Raumsonde Chang’e-6 erstmals Gesteinsproben von der abgewandten Seite des Mondes zur Erde zurück. Diese Proben geben Planetenforschern nun erstmals die Chance, Gestein aus dem größten Einschlagskrater des Mondes, dem Südpol-Aitken-Becken, zu analysieren – und damit auch aus der Region, in der künftige Mondstationen stehen sollen. Zudem könnten die Proben klären helfen, warum die Vorder- und Rückseite des Mondes geologisch so verschieden sind.
Das zehnte Highlight liegt am Schnittpunkt von Physik und Krebstherapie: Ein Team vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung hat ein Modell entwickelt, das die Wirkung der Strahlentherapie auf Lungenkrebs zellgenau prognostizieren kann. Das könnte dazu beitragen, die Bestrahlung schonender zu dosieren und die Krebstherapie besser an individuelle Tumore anzupassen.
Quelle: Physics World