Physik

Quantensprung im Scandium-Atomkern

Messung des Energieübergangs im Scandium-Kern schafft Basis für ultrapräzise Atomkernuhr

Scandium-Atomkern
Eine Scandium-Atomkernuhr hätte die bisher einzigartige Präzision von einer Sekunde auf 300 Milliarden Jahre. Einen ersten Schritt zu einer solchen Uhr ist nun Physikern gelungen. © European XFEL/Helmholtz-Institut Jena, Tobias Wüstefeld, Ralf Röhlsberger

Atomkern als Zeitmesser: Physikern ist ein wichtiger Schritt zu einer Scandium-Atomkernuhr gelungen – einer genaueren Form der Atomuhr, bei der der Atomkern selbst als Taktgeber dient. Das Seltenerdmetall Scandium gilt dafür schon länger als vielversprechender Kandidat. Jetzt haben die Physiker den Energieübergang des Scandium-Kerns mithilfe des Röntgenlasers XFEL erstmals mit hoher Präzision gemessen, wie sie in „Nature“ berichten. Dies schafft die Basis für die weitere Entwicklung dieser neuartigen Atomkernuhr.

Atomuhren sind die Basis unserer Zeitmessung. Als Taktgeber nutzen sie Zustandswechsel angeregter Elektronen in der Hülle von Cäsium-, Strontium- oder Ytterbium-Atomen. Solche optischen Atomuhren sind so genau, dass sie in 15 Milliarden Jahren nicht eine Sekunde vor oder nachgehen würden. Doch es ginge noch genauer: Bei einer Atomkernuhr dienen die Protonen und Neutronen in Atomkernen als Taktgeber. Dadurch könnten diese Uhren präziser und schneller „ticken“ als Elektronen-basierte Atomuhren. Als geeignetes Atom für eine solche Atomkern-Uhr galt bislang vor allem das Isotop 229Thorium.

Scandium
Das Seltenerdmetall Scandium hat einen besonders scharfen Energieübergang im Kern und eignet sich daher gut als Grundlage für eine Atomkernuhr. © Bjoern Wylezich/ Getty images

Seltenerdmetall Scandium als Taktgeber?

Doch jetzt gibt es einen weiteren Kandidaten: das Seltenerd-Metall Scandium. „Das wissenschaftliche Potenzial der Scandium-Resonanz wurde bereits vor mehr als 30 Jahren erkannt“, berichtet Erstautor Yuri Shvyd’ko vom Argonne National Laboratory in den USA. Denn die Kernbausteine dieses Atoms zeigen einen scharf abgegrenzten Energieübergang, der sich nur über eine Bestrahlung mit Röntgenstrahlung einer sehr schmalen Bandbreite auslösen lässt. Physikalisch ausgedrückt: Die Linienbreite der Anregungsfrequenz liegt bei nur 1,4 Billiardstel Elektronenvolt.

„Die Qualität dieses Kernübergangs liegt damit um Größenordnungen über anderen messbaren Resonanzen dieser Art“, erklären die Wissenschaftler. Theoretisch wäre mit einer Scandium-Atomkernuhr dadurch eine Genauigkeit von eins zu zehn Trillionen möglich. „Sie würde dadurch maximal eine Sekunde pro 300 Milliarden Jahren vor oder nachgehen, wie Koautor Ralf Röhlsberger vom Helmholtz-Institut Jena erklärt. Ein weiterer Vorteil: Das für eine solche Atomkern-Uhr nötige 45Scandium ist stabil und reichlich verfügbar.

Röntgenlaser misst Atomkern-Übergang

Der Haken jedoch: Um den Energieübergang im Scandium-Atomkern auszulösen, benötigt man intensive Röntgenstrahlung mit einer Energie von 12,4 Kiloelektronenvolt. Gleichzeitig muss die Frequenz dieser Röntgenstrahlung präzise genug einstellbar sein, um genau den schmalen Anregungsbereich des Scandiums zu treffen. „Bislang war keine Röntgenquelle verfügbar, die innerhalb der 1,4 Femtoelektronenvolt schmalen Linie von Scandium hell genug leuchtet“, sagt Koautor Anders Madsen vom European XFEL bei Hamburg. „Das änderte sich erst mit Röntgenlasern wie dem European XFEL.“

Dank des XFEL ist es jetzt dem Team um Shvyd’ko gelungen, den Atomkern-Übergang des Scandiums auszulösen und so präzise zu messen wie nie zuvor. Für ihr Experiment platzierten die Physiker eine 0,025 Millimeter dünne Scandiumfolie im Strahlengang des Röntgenlasers und beschossen sie mit kurzen, fokussierten Röntgenlicht-Pulsen im Bereich um 12,4 Kiloelektronenvolt. Durch winzige Variationen der Frequenz, eine ausgeklügelte, extreme Rauschunterdrückung und hochauflösende Kristalloptiken konnten sie so den Kernübergang auslösen und gleichzeitig dessen Frequenz bestimmen.

Wichtiger Schritt auf dem Weg zur Scandium-Uhr

Mit Erfolg: Dem Team gelang es, die Übergangsenergie des Scandium-Atomkerns mit 12,38959 Kiloelektronenvolt zu messen, diesen Wert bestimmten sie zudem bis auf die fünfte Stelle hinter dem Komma genau – das ist 250-fach genauer als bisher. „Die genaue Bestimmung der Übergangsenergie ist ein bedeutender Fortschritt“, sagt Koautor Jörg Evers vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. „Die exakte Kenntnis dieser Energie ist von enormer Bedeutung für die Realisierung einer Atomuhr auf der Basis von Scandium.“

Nach Ansicht der Forschenden liefert diese Messung eine wichtige Basis für die Entwicklung einer Scandium-Atomkernuhr. Realisiert werden könnte eine solche Uhr demnach durch Kombination von Röntgenlasern mit Frequenzkämmen. Dies hätte großen praktischen Nutzen: „Der Durchbruch bei der Resonanzanregung von Scandium und der präzisen Messung ihrer Energie eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten für Atomkernuhren, sondern auch in der Ultrapräzisionsspektroskopie und für die Präzisionsmessung fundamentaler physikalischer Effekte“, erläutert Shyd’ko.

So könnte die Scandium-Atomkernuhr beispielsweise genutzt werden, um die von Einstein postulierte Zeitdehnung durch die Gravitation noch genauer und über kleinere Entfernungen zu messen als bisher möglich. „Dies würde Studien über relativistische Effekte auf Längenskalen ermöglichen, die bisher unzugänglich waren“, erklärt Koautorin Olga Kocharovskaya von der Texas A&M University. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-06491-w)

Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY

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