Physiker haben Schrödingers Katze gepimpt: Erstmals erzeugten sie eine quantenphysikalische Überlagerung bei einem fast makroskopischen Objekt – einem 16 Mikrogramm schweren Schwingkristall aus 100 Billiarden Atomen. Dies gelang, indem ein supraleitendes Quantenbit seinen Überlagerungszustand auf diesen mechanischen Resonator übertrug, wie das Team in „Science“ berichtet. Solche Systeme könnten klären helfen, warum die Überlagerung bei Alltagsobjekten nicht funktioniert.
Bei der quantenphysikalischen Überlagerung kann ein Teilchen mehrere Quantenzustände gleichzeitig einnehmen – erst eine Messung beendet diese Superposition. Dieses Prinzip illustriert das berühmte Gedankenexperiment von Schrödingers Katze: Eine Katze sitzt mit einer radioaktiven Substanz und einem Fläschchen Gift in einer geschlossenen Kiste. Kommt es zu einem radioaktiven Zerfall, wird das Gift freigesetzt. Doch solange man nicht nachschaut, bleibt der Zustand der Katze undefiniert. Quantenmechanisch ist die Katze in dieser Zeit gleichzeitig tot und lebendig.
Warum geht das nur im Quantenreich?
Doch warum funktioniert eine Überlagerung nur im Quantenreich und nicht mit makroskopischen Objekten? Bisher wurde sie nur für einzelne Teilchen und Moleküle aus bis zu 2.000 Atomen nachgewiesen. „Schon seit den Anfängen der Quantenmechanik ist unklar, warum Quantenphänomene wie die Überlagerung von Zuständen niemals in der makroskopischen Welt beobachtet werden“, schreiben Marius Bild von der ETH Zürich und seine Kollegen.
Hypothesen dazu gibt es jedoch einige. Demnach könnte es in größeren Objekten zu viele Störeffekte durch die vielen Teilchen geben oder aber äußere Einflüsse wie Einsteins Zeitdehnung kommen zum Tragen. Um mehr über die Physik hinter der quantenphysikalischen Superposition zu erfahren, haben nun Bild und sein Team ein Experiment durchgeführt, das die Grenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos in Bezug auf die Überlagerung weit verschiebt.
Schrödingers Katze aus 100 Billiarden Atomen
Für ihr Experiment nutzten die Physiker einen kleinen, rund 16 Mikrogramm schweren Schwingkristall als „Katze“. Dieser mechanische Resonator ist mit einer Schicht aus piezoelektrischem Aluminiumnitrid verbunden, die in Reaktion auf die Schwingungen ein elektrisches Feld erzeugt. Dieses elektrische Feld wiederum ist mit einem Quantenbit in Form eines supraleitenden Transmon-Quantenpunkts gekoppelt.
Damit verbindet dieses System ein zur Überlagerung fähiges Quantenbit mit einem mechanisch schwingenden Objekt, das an der Grenze zum Makrokosmos liegt – immerhin bewegen sich im Resonator mehr als 100 Billiarden Atome auf und ab. Dennoch gelang es den Physikern, beide Komponenten so miteinander zu koppeln, dass das Qubit seine Überlagerung auf den Schwingkristall übertrug. Diese Überlagerung führte dazu, dass der Kristall nun in zwei Richtungen gleichzeitig zu schwingen schien.
Wo liegt die Grenze der Superposition?
„Indem wir die zwei Schwingungszustände des Kristalls in eine Überlagerung versetzt haben, haben wir effektiv eine Schrödinger-Katze hergestellt, die 16 Mikrogramm wiegt“, sagt Seniorautorin Yiwen Chu von der Universität Wien. Die in Superposition gebrachte Masse entspricht der eines kleinen Sandkorns und bewegt sich damit schon fast im Bereich eines makroskopischen Objekts. In jedem Fall ist dies die „fetteste“ Quantenkatze, die je realisiert wurde.
„Unsere Ergebnisse bieten die Möglichkeit, die Grenze zwischen der Quantenwelt und der klassischen Welt genauer zu erkunden“, schreiben die Forschenden. Denn wie sie erklären, war die Maximal-Größe ihrer „Quantenkatze“ durch die Parameter ihres Testsystems vorgegeben. Theoretisch wären aber auch noch massereichere Varianten möglich. Dies könnte dabei helfen, die Gründe für das Verschwinden von Quanteneffekten in der makroskopischen Welt besser zu verstehen.
Robustere Qubits und neue Detektoren
Solche Schrödinger-Katzen im Megamaßstab eröffnen aber auch ganz praktische Vorteile. So könnte die Kopplung an größere Einheiten die in Quantencomputern eingesetzten Qubits robuster machen. Eine weitere Anwendung wäre es, die schwereren „Quantenkatzen“ als Messsysteme zu nutzen, beispielsweise für Gravitationswellen oder den Nachweis von dunkler Materie. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adf7553)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)