Ereignishorizont im Mini-Format: Um zu verstehen, was am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs geschieht, kann schon eine Kette ultrakalter Atome reichen, wie Physiker demonstriert haben. Demnach kann eine solche Kette nicht nur den Barriere-Effekt des Ereignishorizonts nachahmen, auch die nötigen Voraussetzungen für die Hawking-Strahlung lassen sich so erforschen. Das Team hat so schon erste Erkenntnisse zu dieser bisher nur theoretisch postulierten Strahlung erlangt.
Schwarze Löcher sind ein Ort ohne Wiederkehr: Weder Strahlung noch Materie können der enormen Anziehungskraft dieser Singularitäten entweichen. Der Ereignishorizont markiert dabei die Grenze, ab der es kein Zurück mehr gibt – eigentlich. Doch der britische Physiker Stephen Hawking postulierte 1974 eine Ausnahme von dieser Regel: Demnach geben Schwarze Löcher immer auch eine bestimmte Form der Strahlung ab.
Das Rätsel der Hawking-Strahlung
Diese Hawking-Strahlung entsteht, weil durch Quantenfluktuationen ständig Paare von Teilchen und ihren Antiteilchen im Vakuum des Alls entstehen. Normalerweise löschen sich diese virtuellen Paare sofort gegenseitig aus und verschwinden wieder. Doch wenn nun ein Partner diesseits, der andere aber jenseits des Ereignishorizonts auftaucht, unterbleibt diese Annihilation. Stattdessen wird ein Teilchen ins Schwarze Loch gezogen, das andere kann entkommen und bildet die Hawking-Strahlung.
Das Problem jedoch: Bisher konnte diese Hawking-Strahlung noch nie gemessen werden. Denn niemand kann einem Schwarzen Loch nahe genug kommen, um sie vor Ort zu messen. Und von der Erde oder Weltraumobservatorien aus gesehen, werden die wenigen Teilchen dieser Strahlung von anderen kosmischen Strahlenquellen weit überstrahlt. Physiker versuchen deshalb, das Phänomen an Ereignishorizont-Analoga im Labor zu untersuchen. 2016 gelang dies einem Team mithilfe virtueller Teilchen in einem Bose-Einstein-Kondensat.
Atomkette statt Gravitationsloch
Einen weiteren Ansatz haben nun Lotte Mertens von der Universität Amsterdam und ihre Kollegen untersucht. Sie nutzten dafür ein Modell, das auf einer eindimensionalen Kette von Atomen basiert, in der Elektronen von einem Atomplatz zum nächsten „hüpfen“ können. Der Übergang zum Ereignishorizont und die Barrierewirkung dieser Grenze wird simuliert, indem man die Sprünge zwischen den Atomen je nach Position erleichtert oder erschwert.
„Der synthetische Ereignishorizont wird in diesem Analog erzeugt, indem man das anfangs homogene System in eines umwandelt, bei dem sich die Hopping-Parameter abhängig von der Position ändern“, erklärt das Physikerteam. Im Test entstand dieser Horizont in der Mitte der Kette. Teilchen, die sich dieser Barriere annäherten, wurden immer langsamer und konnten sie nie ganz erreichen oder sie durchqueren – wie beim Ereignishorizont eines echten Schwarzen Lochs.
Verschränkung ist entscheidend
Das Entscheidende jedoch: Auch in diesem virtuellen System entstand eine Art Hawking-Strahlung. Sie machte sich am thermischen Spektrum der Atomkette bemerkbar. Diese Strahlung trat aber nur dann auf, wenn die Atomkette jenseits des synthetischen Ereignishorizonts weiterging. Endete die Kette an der Barriere, blieb die Strahlung aus. „Der Verlust der Information durch die Barriere ist für sich genommen nicht ausreichend, um die thermische Verteilung zu erzeugen“, berichtet das Team.
Nach Angaben von Mertens und ihren Kollegen bestätigt dies, dass die Hawking-Strahlung eine quantenphysikalische Verschränkung zwischen den Teilchen diesseits und jenseits des Ereignishorizonts erfordert – wie bei den Quantenfluktuationen am Schwarzen Loch der Fall. „Der Teil des Systems hinter dem Horizont muss existieren, damit ein thermisches Spektrum entsteht“, erklären sie.
Gleichzeitig ergaben ihre Tests, dass das Phänomen dieser Strahlung nur auftritt, wenn der künstliche Ereignishorizont erst nachträglich eingeführt wird. „Das Auftreten von Hawking-Strahlung erfordert demnach eine Veränderung der Raumzeitkrümmung“, erläutert Mertens. Erst das Entstehen eines Schwarzen Lochs und der mit ihm verbundenen Schwerkraftwirkung lässt das Phänomen entstehen.
Im Labor auch praktisch umsetzbar
Noch existiert diese Form des künstlichen Ereignishorizonts nur im Modell. Die Methodik zeige aber, dass spezifische, schwer fassbare Phänomene des Universums auch durch speziell konstruierte Materialsysteme untersucht werden können, so die Physiker. Ihr Modell des Ereignishorizonts könnte sich sogar relativ leicht im Labor umsetzen lassen – unter anderem mit elektronischen Systemen, Spin-Ketten, ultrakalten Atomen oder optischen Experimenten.
„Es gibt dabei nur zwei entscheidende Kriterien, die eingehalten werden müssen: Das System muss durch freie Gitterfermionen beschreibbar sein und man muss das Hüpfen in Form der lokalen Verknüpfungen einstellen können, um die Positionsabhängigkeit und damit den Horizont nachzubilden“, erklären Mertens und ihr Team. „Wenn wir Schwarze Löcher auf diese Weise ins Labor bringen, kann uns dies einer Theorie der Quantengravitation einen Schritt näher bringen.“ (Physical Review Research, 2022; doi: 10.1103/PhysRevResearch.4.043084)
Quelle: Universität Amsterdam, Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden