Physik

Erster Nachweis des „Dead-Cone“-Effekts

Erste direkte Beobachtung einer fundamentalen Vorhersage der Teilchenphysik

Dead-Cone-Effekt
Ein bei einer Teilchenkollision freigesetztes Quark verliert Energie in Form von Gluonen. Der Theorie nach hat der resultierende Gluonenschauer jedoch eine Schattenzone (Dead Cone), in der keine Gluonen nachweisbar sind. Diesen "Dead-Cone"-Effekt haben Physiker jetzt erstmals direkt gemessen. © CERN

Nach 30 Jahren nachgewiesen: Physiker haben erstmals den „Dead-Cone“-Effekt direkt beobachtet – eine fundamentale Vorhersage des Standardmodells der Teilchenphysik. Nach diesem entsteht beim Zerfall von Quarks und Gluonen in der Teilchenkaskade eine „tote Zone“, in die keine Gluonen abgegeben werden. Diese Zone wurde nun im Teilchenbeschleuniger LHC erstmals direkt nachgewiesen. Wichtig ist dies auch, weil die Breite der Zone die Masse des ursprünglichen Quarks verrät – und so direkte Massenbestimmungen ermöglicht.

Die starke Kernkraft hält die Quarks in Elementarteilchen wie den Protonen, Neutronen oder auch Mesonen zusammen. Das vermittelnde Überträgerteilchen ist dabei das Gluon. Wenn – beispielsweise bei Protonenkollisionen – die Teilchen aufgebrochen werden, erzeugt dies eine Teilchenkaskade, in der sukzessive immer energieärmere Gluonen freiwerden. Diese Quark-Gluonen-Kaskade wird auch als Parton-Schauer bezeichnet.

Dead-Cone-Effekt
„Dead-Cone“-Effekt: Die Breite der Schattenzone hängt direkt von der Masse und Energie des Quarks ab. © CERN

Schattenzone im Gluonen-Schauer

Schon vor rund 30 Jahren postulierten Physiker auf Basis fundamentaler Gleichungen des Standardmodells, dass es in diesem Gluon-Regen eine Schattenzone geben muss – den sogenannten „Dead Cone“. In diesem toten Winkel wird die Gluon-Emission unterdrückt und er bildet daher eine leere Zone im Parton-Schauer. Wie groß diese Zone ist, hängt dabei direkt von der Masse des ursprünglichen Quarks ab – so weit die Theorie.

Bisher war es jedoch nie gelungen, diesen „Dead-Cone“-Effekt direkt zu beobachten. Denn die gluonfreie Zone wird in der Praxis von unzähligen anderen Teilchen durchflogen und damit in den Detektordaten meist kaschiert. „Es ist eine echte Herausforderung, den Dead Cone direkt zu beobachten“, sagt Luciano Musa, Sprecher der ALICE-Kollaboration am Forschungszentraum CERN bei Genf.

Gluonenfahndung im ALICE-Detektor

Jetzt ist den Physikern des CERN genau dieser direkte Nachweis erstmals gelungen. Möglich wurde dies durch eine Kombination von Daten aus drei Jahre der Protonenkollisionen im ALICE-Detektor des Teilchenbeschleunigers LHC und einer neu entwickelten Analysetechnik. Bei diesem dreistufigen „Reclustering“ suchten die Physiker zunächst nach Kollisionen, in denen ein D0-Meson freigesetzt wird – ein Teilchen aus einem schweren Charm-Quark und einem leichten Anti-Up-Quark.

Dann rekonstruierten die Forscher mithilfe eines speziellen Algorithmus und der Flugbahnen und Energien der Zerfallsprodukte, wie der ursprüngliche Parton-Schauer aussah. Um dies zu erreichen, mussten sie zudem Störeffekte des Detektors sowie dazwischen fliegender anderer Teilchen herausrechnen. Mithilfe dieser Techniken gelang es dem Team schließlich, die Bahnen der Gluonen für Kollisionen bei drei verschiedenen Energien zu ermitteln.

Dead Cone nachgewiesen – Bestätigung der Quantenchromodynamik

Und tatsächlich: Die im ALICE-Detektor beobachteten Teilchenspuren zeigten eine Zone im Parton-Schauer, in der keine Gluonen vom Charm-Quark freigesetzt wurden. „Die Suppression der Datenpunkte enthüllt einen Dead Cone, in dem die Charm-Quarks-Emissionen unterdrückt sind“, berichten die Physiker der ALICE-Kollaboration. Das Ausmaß dieser Suppression nahm mit sinkender Energie des Quarks ab, wie von der Theorie vorgesagt.

ALICE-Detektor
Blick ins Herz des ALICE-Detektors – das ist nur bei Umbaupausen der Anlage möglich. © CERN/ ALICE

„Wir haben erstmals den von der Quantenchromodynamik vorhergesagten Dead-Cone-Effekt direkt gemessen“, konstatieren die Physiker. „Dieses Ergebnis bestätigt eine fundamentale Eigenschaft der Quantenchromodynamik.“ Als Quantenchromodynamik wird die physikalische Theorie bezeichnet, die die starke Kernkraft beschreibt – die Wechselwirkung von Quarks und Gluonen. Nach gut 30 Jahren wurde der von dieser Theorie vorhergesagte Dead-Cone-Effekt nun zum ersten Mal direkt beobachtet. Bisher konnten Forscher nur indirekt auf seine Existenz schließen.

Neuer Weg auch für die Messung der Quark-Masse

„Diese Messung liefert neue Einblicke in die Wirkung von Massen auf Teilchen-Jets und hilft dabei, Modelle einzugrenzen“, erklären Musa und seine Kollegen. Die Beobachtung bietet aber auch eine neue Möglichkeit, die Masse schwerer Quarks zu messen. Denn der Winkel der gluonfreien Schattenzone hängt direkt von dieser Masse ab.

„Quark-Massen sind fundamentale Werte der Teilchenphysik, aber können in Experimenten nicht direkt erfasst und gemessen werden“, erklärt ALICE-Koordinator Andrea Dainese. „Unsere erfolgreiche Technik, den Dead-Cone eines Parton-Schauers direkt zu beobachten, eröffnet nun einen Weg für eine solche Bestimmung der Quark-Massen.“ (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-04572-w)

Quelle: CERN

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