Tickender Halbleiter: Physiker haben erstmals einen mit Gigahertz-Frequenz „tickenden“ Zeitkristall auf einem Mikrochip erzeugt. Das regelmäßig oszillierende System entsteht, wenn eine Quantenfalle im gängigen Halbleiter Galliumarsenid mit kontinuierlichem Laserlicht angeregt wird. Das „Ticken“ im Gigahertz-Bereich und die Integration auf einem Mikrochip könnte neue Möglichkeiten der Anwendung für solche Zeitkristalle eröffnen, wie das Team in „Science“ berichtet.
Zeitkristalle sind Materialien und Systeme, die eine regelmäßige Zustandsveränderung in der Zeit zeigen. Sie „ticken“, indem beispielsweise die Spins ihrer Atome in einem festen Takt umklappen. Experimentell nachgewiesen wurden solche schon vor Jahrzehnten theoretisch postulierten Zeitkristalle jedoch erst im Jahr 2016 bei Ytterbium-Ionen und bei Diamanten mit speziellen Gitterfehlstellen. Seither wurden zahlreiche weitere Zeitkristalle erzeugt, darunter auch Systeme, die bei gleichmäßiger, nichtperiodischer Anregung zu ticken beginnen.
Quantentopf im Galliumarsenid
Jetzt haben Physiker um Ignacio Carraro-Haddad vom Atomforschungszentrum Bariloche (CAB-IB) in Argentinien eine weitere, besonders spannende Art von Zeitkristallen erstellt. Ihnen gelang es, erstmals einen kontinuierlichen Zeitkristall in einen winzigen Halbleiterchip zu integrieren. Dieses tickende Vielteilchensystem könnte ganz neue Möglichkeiten der Anwendung eröffnen. „Die beteiligten Materialien sind Halbleiter, die mit integrierten photonischen Bauelementen kompatibel sind“, erklärt Seniorautor Alejandro Fainstein vom CAB-IB.
Konkret besteht der neuartige Zeitkristall aus ultradünnen Schichten des gängigen Halbleitermaterials Galliumarsenid. Diese bilden eine mikrometergroße Box, die als Falle für Quasiteilchen in Form von Polaritonen fungiert. Diese entstehen, wenn die Elektronen und Löcher im Halbleiter durch Laserlicht angeregt werden und mit den Photonen des Laserlichts wechselwirken. Unter bestimmten Bedingungen kommt es dabei zu einer Kopplung der Quasiteilchen, durch die diese gemeinsam agieren und ein Bose-Einstein-Kondensat bilden.
20 Milliarden Ticks pro Sekunde
Als nun die Physiker diese Polariton-Falle mit einem kontinuierlichen Laser bestrahlten, begannen die Quasiteilchen zu oszillieren. Sie wechselten mit der Frequenz von rund 20 Gigahertz – 20 Milliarden Mal pro Sekunde – ihren Quantenzustand zwischen zwei spezifischen Spinvarianten. „Dieses Verhalten kann als Manifestation eines Zeitkristalls interpretiert werden“, sagt Koautor Alexander Kuznetsov vom Paul-Drude Institut für Festkörperelektronik (PDI) in Berlin.
Dies sei das erste Mal, dass an einer Kondensatprobe auf einem Halbleiterbauelement anhaltende Oszillationen in diesem Frequenzbereich beobachtet wurden. „Wir haben gezeigt, dass Frequenzen möglich werden, die mehrere Größenordnungen höher sind als bisher“, erklärt Kuznetsov. Dies eröffne neue Möglichkeiten, Zeitkristalle auf einer Halbleiterplattform zu erzeugen und zu kontrollieren. „Die Ergebnisse fügen der Physik offener Vielteilchen-Quantensysteme eine neue Dimension hinzu“, so der Physiker.
Anwendungen in der Photonik möglich
Gleichzeitig ebnet diese neue Art des Zeitkristalls auch den Weg zu konkreten Anwendungen. „Diese Arbeit stellt einen Paradigmenwechsel im Ansatz zu Zeitkristallen dar, da sie die Möglichkeit zeigt, wie solche Studien auf beliebig große Gitter lokalisierter Zeitkristalle ausgedehnt werden können“, erklärt Fainstein. Für Anwendungen vorteilhaft sei zudem, dass die beteiligten Materialien Halbleiter und mit photonischen Bauelementen kompatibel seien. Zudem ticken diese Zeitkristalle in Frequenzen, die für Informations- und Quantentechnologien relevant sind.
Die neuartigen Zeitkristalle könnten beispielsweise als Wandler in der Photonik zum Einsatz kommen: „Aufgrund der polariton-verstärkten Kopplung zwischen Gigahertz-Phononen und Photonen im nahen infraroten Frequenzbereich haben die Ergebnisse das Potenzial für Anwendungen in der (Quanten-)Umwandlung zwischen Mikrowellen- und optischen Frequenzen“, erklärt Koautor Paulo Ventura Santos vom Paul-Drude-Institut. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adn7087)
Quelle: Forschungsverbund Berlin e.V. (FVB)