In leichten Atomkernen geht offenbar Überraschendes vor sich: In ihnen finden sich unerwartet häufig zwei Protonen zu kurzlebigen Paaren zusammen, wie ein Experiment enthüllt. In diesem hatten solche gleichartigen Paare einen Anteil von gut 20 Prozent – normal wären bisherigen Messungen zufolge aber maximal fünf Prozent. Über die Ursache dieses überraschenden Effekts können die Physiker bisher nur spekulieren, wie sie in „Nature“ berichten.
Der Atomkern ist ein dynamischer Ort: Neutronen und Protonen rasen im Kern umher und interagieren dabei über die starke Kernkraft miteinander. Dabei entstehen manchmal vorübergehende Kombinationen angeregter Kernteilchen. Bei schweren Atomkernen können dies kurzlebige Heliumkerne aus zwei Protonen und zwei Neutronen sein, noch häufiger sind aber Nukleonen-Paare. Bei dieser sogenannten Short-Range-Korrelation (SRC) interagieren zwei Kernbausteine so stark miteinander, dass ihre Strukturen kurzzeitig überlappen.
Ungleiche Paare bevorzugt
Gängiger Lehrmeinung nach kommen solche Paarbildungen mehrheitlich zwischen ungleichen Kernbausteinen vor – also zwischen Proton und Neutron. In Messungen bei verschiedenen Elementen vom Kohlenstoff bis zum Blei machten Proton-Neutron-Paare rund 95 Prozent solcher Short-Range-Korrelationen aus. Nur extrem selten konnten Physiker auch gleichartige Paare aus Proton und Proton oder Neutron und Neutron nachweisen. Diese Verteilung galt bisher als gültig für alle Arten von Atomkernen.
Doch jetzt enthüllt ein Experiment an der Thomas Jefferson National Accelerator Facility in Virginia etwas Überraschendes: Es gibt offenbar Atomkerne, die von diesem „normalen“ Paarverhältnis abweichen. In ihnen bilden sich weit mehr gleichartige Paare aus zwei Protonen als zuvor beobachtet. „Wir haben eine ausgeprägte Abweichung von der fast vollständigen Dominanz der Neutron-Proton-Korrelationen bei schwereren Atomkernen festgestellt“, berichten Shujie Li vom Lawrence Berkeley National Laboratory und ihre Kollegen.
„Spiegelkerne“ unter Beschuss
Für ihre Studie hatten Physiker ein neues Verfahren entwickelt, um den kurzlebigen Paarungen im Atomkern auf die Spur zu kommen. Dafür beschossen sie die Kerne von Tritium (H3) und Helium-3 mit Elektronen. Bei diesen Atomkernen handelt es sich um sogenannte Spiegelkerne: Beide bestehen aus drei Kernteilchen. Beim Tritium sind es jedoch zwei Neutronen und ein Proton, beim Helium-3 hingegen zwei Protonen und ein Neutron.
Anhand der Richtung und Energie der von diesen Atomkernen reflektierten Elektronen können die Wissenschaftler ermitteln, ob in diesen Kernen kurzlebige Paare existieren: „Das ist ähnlich wie der Unterschied bei einem Tischtennisball, der von der Windschutzscheibe eines stehenden oder schnell fahrenden Autos abprallt“, erklärt Lis Kollege John Arrington. Auch die Art der Paare ließ sich bei diesen Messungen aus dem Elektronenverhalten ablesen. Nach gängiger Lehrmeinung müssten beide Atomkerne die gleichen Anteile solcher Korrelationen aufweisen wie in früheren Messungen.
Unerwartet viele gleichartige Paare
Doch die Messdaten ergaben etwas Anderes: Der Anteil gleichartiger Paare war bei den beiden leichten Atomkernen viermal höher als erwartet. Proton-Proton-Paare und Neutron-Neutron-Paare machten zusammen gut 20 Prozent der Korrelationen aus. „Wir wollten eigentlich nur präzisere Messungen der Short-Range-Korrelationen vornehmen – eine so dramatische Abweichung haben wir nicht erwartet“, sagt Arrington. „Das wirft die Frage auf, was bei diesen Atomkernen anders ist.“
Bisher können die Physiker darüber nur spekulieren. Eine Möglichkeit wäre aber, dass der Abstand der Kernbausteine untereinander eine Rolle spielt: Protonen und Neutronen haben bei kleinen, leichten Atomkernen ein wenig mehr Spiel, was wiederum die Interaktion der Nukleonen beeinflussen könnte. Ob das der Fall ist, hofft das Forschungsteam nun durch ähnliche Messungen auch bei anderen leichten Atomkernen herauszufinden.
Arrington und seine Kollegen arbeiten bereits an einem weiteren Experiment am Beschleuniger des Jefferson Lab, bei dem die Short-Range-Korrelationen an Isotopen von Lithium, Beryllium und Bor und einigen schwereren Elementen gemessen werden sollen.
Wichtig für Teilchen- und Astrophysik
„Die Tatsache, dass wir in so einfachen Atomkernen noch immer Überraschungen finden, ist wirklich interessant“, sagt Arrington. „Wir wollen verstehen, warum das so ist, weil uns dies etwas darüber verraten kann, wie die Nukleonen auf kurze Distanz miteinander wechselwirken.“ Die Prozesse im Atomkern zu verstehen, ist für eine ganze Reihe von Forschungsbereichen und wissenschaftlichen Experimenten essenziell. Denn sie beeinflussen das Verhalten von Elementarteilchen bei Kollisionen in Teilchenbeschleunigern oder in Detektoren.
Zudem spielt das Verhalten der Kernbausteine auch für die Astrophysik eine wichtige Rolle – beispielsweise für die Kernfusion in der Sonne, aber auch für die Prozesse im Inneren von Neutronensternen. (Nature, 2022; doi: 10.1038/s41586-022-05007-2)
Quelle: Thomas Jefferson National Accelerator Facility, Lawrence Berkeley National Laboratory