Physik

Überraschung im Fusionsplasma

Neutronen im brennenden Laserfusions-Plasma sind energiereicher als sie sein dürften

Fusionsexperiment
Bei Experimenten zur laserinduzierten Kernfusion haben Physiker einen unerwarteten Energieüberschuss der freigesetzten Teilchen festgestellt. © Don Jedlovec/ Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL)

Mysteriöser Überschuss: Bei der laserinduzierten Fusion von Deuterium und Tritium haben Physiker überraschende Diskrepanzen zu gängigen Modellen entdeckt. Demnach setzt die Kernfusion im brennenden Plasma unerwartet energiereiche Neutronen frei. Die Teilchen im Fusionsplasma haben demnach mehr Energie als sie bei diesen Temperaturen haben dürften. Warum das so ist und warum der Effekt nur im brennenden Plasma auftritt, ist bisher ungeklärt, so die Forschenden in „Nature Physics“.

Die Kernfusion gilt als Energiequelle der Zukunft. Bisher ist allerdings strittig, welche Fusions-Technologie am ehesten zu nutzbaren Fusionskraftwerken führen wird. Testanlagen wie ITER, JET oder Wendelstein-X nutzen den Magneteinschluss, um größere Mengen Wasserstoff oder Deuterium-Tritium-Plasma aufzuheizen und zur Fusion zu bringen. Andere Ansätze verwenden hingegen Laser oder Gaskanonen, um eine kleine Plasmamenge abrupt zu komprimieren und so zur Fusion zu bringen.

National Ignition Facility
Blick durch eine Vorkammer der Laserfusionsanlage an der National Ignition Facility (NIF) © Damien Jemison / LLNL

Laser-Fusion an der Schwelle zur Zündung

In der Laserfusion am weitesten fortgeschritten sind die Experimente an der National Ignition Facilty (NIF) in den USA. Dort bestrahlen Hochleistungs-Laser einen winzigen Hohlraum mit Deuterium-Tritium-Ionen und erzeugen für Sekundenbruchteile eine Leistung von mehr als zehn Billiarden Watt. Dies löst die Kernfusion im extrem aufgeheizten und komprimierten Plasma aus. Im August 2021 erreichte die Fusionsenergie in dieser Anlage erstmals 1,3 Megajoule und damit die Schwelle zur Zündung – den Punkt, an dem sich die Fusion ohne weitere Energiezufuhr selbst erhält.

Was bei der Laserfusion im brennenden Fusionsplasma vor sich geht, haben Physiker um Edward Hartouni und Alastair Moore vom Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) näher untersucht. Dafür werten sie Messdaten zur Energie und Menge der bei der Fusion im Plasma freigesetzten Neutronen aus. Mithilfe von fünf speziellen Spektrometern im Reaktorraum konnten sie deren Flugbahnen und Geschwindigkeiten aus allen Richtungen und bis auf fünf Kilometer pro Sekunde genau verfolgen.

Mehr Energie als es die Theorie erlaubt

Dabei zeigte sich Überraschendes: Viele vom brennenden Fusionsplasma freigesetzte Neutronen besaßen Energien von rund 14 Megaelektronenvolt und rasten mit mehr als 51.000 Kilometer pro Sekunde durch den Fusionsreaktor. Damit waren diese Neutronen deutlich energiereicher als sie es gängigen Modellen zufolge sein dürften. Denn der Maxwell-Boltzmann-Verteilung zufolge steht ihre Energie in einem direkten Verhältnis zur Temperatur des Fusionsplasmas und zur Energie der fusionierenden Atomkerne.

Doch die Daten aus dem brennenden Fusionsplasma der NIF-Anlage passen nicht zu dieser Gleichung. Die fusionierenden Atomkerne setzten dort mehr Energie frei, als sie bei dieser Temperatur des Plasmas dürften. „Sobald die Implosion das Deuterium-Tritium-Plasma zum Brennen und Zünden brachte, übertrafen die Energien das für diese Reaktionen Erwartete“, berichtet Moore. Anders ausgedrückt: Das Plasma war für die gemessenen Teilchenenergien eigentlich zu kalt, es hätte rund 2,5-mal heißer sein müssen.

Phänomen bisher nicht erklärbar

Aber warum? Bisher können dies auch die Forschenden nicht beantworten. Denn keiner der bekannten Mechanismen kann diesen Energieüberschuss vollständig erklären. „Dies ist eine offene experimentelle Frage“, so Moore und sein Team. „Hier sind fortgeschrittenere Simulationen nötig, um die Effekte zu verstehen.“ Auch weitere Messdaten von Laserfusionen im NIF-Reaktor könnten zur Klärung beitragen.

Interessant ist allerdings, dass die Abweichungen vom theoretisch Erwarteten offenbar nur dann auftraten, wenn das Fusionsplasma die Schwelle zum Brennen überschritt. Ab diesem Punkt hat die von der Fusion erzeugte Energie einen größeren Anteil an der Plasmaheizung als die von außen zugeführte. Wie die Messungen enthüllten, scheint dies aber auch die Energieverhältnisse im Fusionsplasma grundlegend zu verändern.

„Das Erreichen eines brennenden Plasmas ist nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Fusionsenergie, es ermöglicht auch die Erforschung noch unbekannter Zustände der Materie – mit manchmal überraschenden Ergebnissen“, kommentiert Stefano Atzeni von der Sapienza-Universität Rom in einem begleitenden Kommentar. (Nature Physics, 2022; doi: 10.1038/s41567-022-01809-3)

Quelle: Nature Physics, Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL)

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