Verblüffendes Phänomen: Physiker haben ein Material entdeckt, das elektrischen Strom auf eine bisher nicht erklärbare Art leitet. Statt über diskrete Ladungsträger wie Elektronen oder Quasiteilchen leitet dieses „seltsame Metall“ aus Ytterbium, Rhodium und Silizium den Strom offenbar kontinuierlich, ohne diskret trennbare Einheiten – ein völlig neues Phänomen, wie das Team in „Science“ berichtet. Wie genau dieser Ladungstransport in dem „Strange Metal“ abläuft, ist bisher rätselhaft.
Wenn elektrischer Strom durch einen Leiter fließt, werden die Ladungen normalerweise in diskreten „Portionen“ weitergegeben: Elektronen und Quasiteilchen geben die Ladungen weiter und sorgen so für den Stromfluss. Eine etablierte Methode, um diesen diskreten Ladungstransport nachzuweisen, ist das sogenannte Schrotrauschen, englisch Shot Noise. Dieses zeigt sich in charakteristischen zeitlichen Fluktuationen der Stromstärke bei den Messungen.
„Das Schrotrauschen ist einfach durch den granularen Charakter des Stromflusses bedingt“, erklärt Koautorin Silke Bühler-Paschen von der Technischen Universität Wien. Sie vergleicht das Schrotrauschen mit dem akustischen Prasseln von Hagel auf einem Blechdach – auch dies kommt durch das Eintreffen diskreter Partikel zustande. Gängiger Annahme nach müsste das Schrotrauschen daher bei allen leitfähigen Metallen nachweisbar sein – so dachte man.
Lauschangriff auf ein „seltsames Metall“
Doch jetzt haben Physiker ein Material entdeckt, das aus der Reihe tanzt. Es handelt sich um eine Verbindung aus Ytterbium, Rhodium und Silizium (YbRh2Si2), die zu den sogenannten seltsamen Metallen gehört. Diese „Strange Metals“ zeigen temperaturabhängige Veränderungen ihrer elektrischen und thermischen Leitfähigkeit, die äußerst ungewöhnlich und erst in Teilen erklärt sind. Ebenfalls unklar war bisher, wie elektrische Ladungen durch solche seltsamen Metalle fließen.
Um diese Frage zu klären, haben nun Bühler-Paschen, Erstautor Liyang Chen von der Rice University in Texas und ihre Kollegen erstmals das Schrotrauschen des seltsamen Metalls YbRh2Si2 gemesssen. Für diesen „Lauschangriff“ musste das Team zunächst ultradünne Nanodrähte des Materials herstellen, die nur den Tausendstel Durchmesser eines menschlichen Haares haben. Diese Drähte wurden bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt und unter Strom gesetzt.
„Anders als alles bisher Bekannte“
Das überraschende Ergebnis: „Es zeigte sich ein extrem niedriges Schrotrauschen“, berichtet Bühler-Paschen. Im Vergleich zu Nanodrähten aus einem normalen Metall wie Gold war das Schrotrauschen beim seltsamen Metall stark unterdrückt. „Es ist, als würde die elektrische Ladung nicht, wie man das sonst kennt, von diskreten Quasielektronen transportiert, sondern eher kontinuierlich“, so die Physikerin. Der Strom scheint in diesem exotischen Material demnach nicht in diskreten Einheiten zu fließen.
Doch wie wird die elektrische Ladung dann transportiert? „Was in diesem Seltsamen Metall passiert, ist anders als alles, was wir bisher bei anderen Materialien gesehen haben“, sagt Bühler-Paschen. Bekannt ist aber bereits, dass YbRh2Si2 zu den sogenannten Schweren-Fermion-Metallen gehört – einer Gruppe von seltsamen Metallen, in der die Elektronen quantenphysikalisch miteinander verschränkt sind. Sie können daher besonders massereiche, sich koordiniert bewegende Quasiteilchen bilden.
Dennoch müssten auch diese Materialien eigentlich ein Schrotrauschen zeigen: „Man erwartet dies auch in einem Material, in dem es zu sehr starken Wechselwirkungen kommt und die Quasiteilchen eine um Größenordnungen erhöhte effektive Masse haben“, erklärt Bühler-Paschen.
„Wir haben noch nicht einmal das Vokabular dafür“
Noch tappen die Physiker im Dunkeln. Sie können nur darüber spekulieren, wie der seltsam „leise“ Ladungstransport in diesem seltsamen Metall zustande kommt. „Vielleicht sind die Quasipartikel in diesem Material nicht voneinander abgegrenzt oder es gibt sie gar nicht und die Ladung bewegt sich auf viel kompliziertere Weise“, sagt Seniorautor Doug Natelson von der Rice University. Denkbar wäre auch, dass die starke Verschränkung der Elektronen in diesem Material noch unbekannte Effekte bewirkt.
„Wir müssen erst einmal das richtige Vokabular entwickeln, um beschreiben zu können, wie Ladung kollektiv durch ein solches Material transportiert werden kann“, sagt Natelson. Offen ist auch, ob dieses fehlende Schrotrauschen nur bei diesem Material oder seiner Untergruppe der Schweren-Fermionen-Metalle auftritt oder ob es für alle Strange Metals typisch ist. Denn auch völlig anders strukturierte Materialien wie die als Supraleiter bekannten Cuprate oder zweilagiges Graphen gehören zu den seltsamen Metallen.
„Sie alle haben diesen temperaturabhängigen Widerstand, der für seltsame Metalle charakteristisch ist“, sagt Natelson. „Man muss sich daher fragen, ob in diesen Materialien etwas vorgeht, das unabhängig von ihren mikroskopischen Bausteinen ist.“ (Science, 2023; doi: 10.1126/science.abq6100)
Quelle: Rice University, Technische Universität Wien