Versteckte Effekte: Physiker haben herausgefunden, warum sich die winzigen Dampfbläschen in siedenden Flüssigkeiten oft anders verhalten als von der gängigen Gleichung prognostiziert. Demnach kommt es an der Grenzfläche von Blase und Oberfläche zu nichtlinearen Effekten, die das Ablösen und damit das Siedeverhalten mitbeeinflussen. Dieses Wissen könnte Kühlsysteme für Reaktoren und Rechner effizienter machen, aber auch die Herstellung von Wasserstoff in der Elektrolyse optimieren.
Wenn Wasser zu sieden beginnt, bilden sich am Topfboden winzige Dampfbläschen, die zuerst anhaften und sich dann lösen und aufsteigen. Welche Form diese Bläschen haben und wie schnell sie sich vom Untergrund lösen, hängt von mehreren Faktoren ab, darunter auch der Struktur und Benetzbarkeit des Oberflächenmaterials: Auf einer wasserabweisenden Oberfläche bilden sich runde Tropfen oder Blasen, auf einer benetzbaren dagegen eher flache, länger haftende Blasen.
Abweichungen von theoretischen Werten
Dieser Zusammenhang wurde bisher durch die sogenannte „Young-Laplace“-Gleichung beschrieben. Sie liefert auf Basis mehrerer Faktoren einen Kontaktwinkel, der das Verhalten eines Tropfens auf der Oberfläche charakterisiert: Große Winkel stehen für eine geringe, kleine Winkel für eine große Benetzung. Doch in letzter Zeit haben Experimente mit Laser-Messtechnik gezeigt, dass diese bewährte Theorie für sehr kleine Tröpfchen und Bläschen versagt: Auf der Nanoskala weichen die gemessenen Kontaktwinkel zum Teil erheblich von den theoretischen Voraussagen der Young-Gleichung ab.
Warum das so ist, haben nun Wei Ding vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und seine Kollegen genauer untersucht. „Wir haben berücksichtigt, wie sich die Moleküle im Detail an den Grenzflächen verhalten“, sagt Ding. „Dann haben wir das Wechselspiel zwischen diesen Molekülen im Computer simuliert.“
Nichtlineare Effekte an der Grenzfläche
Dabei stießen die Physiker auf einen deutlichen Unterschied zu den bisherigen Ansätzen: Die zwischen den Molekülen wirkenden Kräfte addieren sich nicht einfach linear auf. Stattdessen ist das Wechselspiel deutlich komplexer, es kommt zu ausgeprägten nichtlinearen Effekten. „Diese Effekte sind verantwortlich für die Abweichungen im Profil der Nanotropfen und beschreiben auch die in Experimenten beobachtete Mikroschicht“, erklärt das Team.
Diese Mikroschicht entsteht, wenn sich an einer Wand ein Dampfbläschen bildet. Dann verbleibt unter ihm ein sehr dünner, fürs Auge nicht sichtbarer Flüssigkeitsfilm. Dieser Film bestimmt, wie das Bläschen wächst und wie es sich von der Wand ablöst. Auch dies berücksichtigen die Wissenschaftler nun in ihrer neuen, erweiterten Theorie. „Mit ihr können wir die Ergebnisse der jüngsten Experimente gut erklären“, sagt Ding. „Wir verstehen das Verhalten winziger Tröpfchen und Dampfbläschen nun viel genauer als zuvor.“
Bedeutung für Kühlsysteme und die Wasserstoff-Produktion
Diese neuen Erkenntnisse haben praktische Bedeutung für zahlreiche Anwendungen, etwa für die Kühlung leistungsstarker Prozessoren. „Es gibt Ideen, diese Wärme durch das Sieden einer Flüssigkeit zu entfernen“, erklärt Hampel. „Mit unserer neuen Theorie sollte sich herausfinden lassen, unter welchen Bedingungen die aufsteigenden Dampfbläschen die Wärmeenergie am effizientesten davontragen können.“ Ebenso könnten die Gleichungen dazu beitragen, die Brennelemente in einem Kernreaktor wirkungsvoller als bislang zu kühlen.
Eine weitere Anwendung liegt in der Gewinnung von Wasserstoff durch die Elektrolyse. Während der durch elektrischen Strom induzierten Wasserspaltung bilden sich an den Elektrodenoberflächen unzählige Gasbläschen. Mithilfe der neuen Theorie scheint denkbar, diese Bläschen gezielter als bislang zu beeinflussen und dadurch die Elektrolyse künftig effizienter zu gestalten.
Der Schlüssel für all diese möglichen Anwendungen liegt in der Auswahl und der Strukturierung geeigneter Materialen. „Indem man eine Oberfläche zum Beispiel mit nanometerkleinen Rillen versieht, lässt sich das Ablösen von Gasbläschen beim Sieden deutlich beschleunigen“, erläutert Ding. „Mit Hilfe unserer neuen Theorie lassen sich solche Strukturierungen nun detaillierter maßschneidern – ein Projekt, an dem wir bereits arbeiten.“ (Journal of Colloid and Interface Science, 2022; doi: 10.1016/j.jcis.2022.10.062)
Quelle: Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf