Überraschende Entdeckung: Bisher waren fast alle Supraleiter rein synthetisch erzeugte Materialien – sie kommen in der Natur nicht vor. Jetzt haben Forschende den ersten unkonventionellen Supraleiter identifiziert, der auch als natürliches Mineral vorkommt. Das Mineral Miassit verliert seinen elektrischen Widerstand nicht durch klassische Mechanismen wie die Paarbildung von Elektronen, sondern auf abweichende, exotischere Weise, wie Experimente enthüllten. Damit ist es in der Natur bisher einzigartig.
Supraleiter können Strom nahezu widerstandsfrei leiten. Dies geschieht, weil sich die Elektronen im Kristallgitter bei starker Abkühlung zu sogenannten Cooper-Paaren zusammenlagern. Diese bilden eine Art Superfluid, in dem alle Teilchen den gleichen Quantenzustand besitzen und sich wie eine widerstandsfreie Einheit bewegen. Allerdings gibt es auch einige Supraleiter, darunter Cuprate, Metallhydride oder Uranditellurid, die schon bei weit höheren Temperaturen ihren Widerstand verlieren – und bei denen andere, unkonventionelle Mechanismen dahinterstecken.
Aber gibt es solche Supraleiter auch in der Natur? Fast alle bisher bekannten Materialien dieser Art sind rein synthetisch – sie wurden im Labor erzeugt, ohne dass es eine natürliche Entsprechung gibt. Bisher sind aus der Natur nur vier Minerale bekannt, deren reine, im Labor gezüchtete Kristalle supraleitend sind. Unter ihnen sind das häufige Kupfersulfid-Mineral Covellin und drei weitere Minerale. Alle vier galten aber als konventionelle, auf Cooper-Paaren basierende Verbindungen.
Mineral Miassit auf dem Prüfstand
Eines dieser vier Minerale haben nun Forschende um Hyunsoo Kim von der Iowa State University näher unter die Lupe genommen. Es handelt sich um eine Rhodium-Schwefel-Verbindung (Rh17S15), die schon in den 1930er Jahren im Labor erzeugt wurde. „Intuitiv denkt man, dass etwas absichtlich im Labor Hergestelltes wohl nicht in der Natur vorkommen kann“, sagt Kims Kollege Ruslan Prozorov. „Aber wie sich gezeigt hat, tut es das doch.“
Tatsächlich entdeckte man in den 1960ern am Miass-Fluss in Russland ein Mineral mit der gleichen Struktur und taufte es Miassit. „Miassit ist sehr selten und bildet in der Natur meist keine sehr regelmäßigen Kristalle“, erklärt Kims Kollege Paul Canfield. Meist sind die winzigen Miassit-Körnchen zudem stark von Fremdatomen wie Nickel, Eisen, Platin und Kupfer verunreinigt. Dadurch ist das natürlich vorkommende Mineral nicht supraleitend, wohl aber seine reine, im Labor hergestellte Form.
Test enthüllen unkonventionelles Verhalten
Doch worauf beruht die Supraleitung des Miassits? Genau dies haben nun Kim und sein Team erstmals genauer untersucht. Dafür unterzogen sie das Miassit verschiedenen Tests und bestimmten unter anderem die sogenannte „London Penetrationstiefe“. Diese zeigt, wie tief ein externes Magnetfeld in das Innere des Supraleiters vordringen kann. Bei konventionellen Supraleitern ist dieser Wert unterhalb der Sprungtemperatur weitgehend konstant. Beim Miassit dagegen veränderte sich die Eindringtiefe linear mit der Temperatur, wie das Team berichtet.
In einem weiteren Test bombardierten die Forschenden das Miassit mit energiereichen Elektronen, um gezielt Defekte im Kristallgitter des Minerals zu erzeugen. Dies bewirkte wie erwartet eine Absenkung der Sprungtemperatur – und damit des Übergangs in den supraleitenden Zustand. Doch auch diese Messwerte stimmten nicht mit denen konventioneller Supraleiter überein.
„Die Natur versteht es, ihre Geheimnisse zu verbergen“
Das bedeutet: Anders als bisher gedacht ist Miassit kein normaler Supraleiter – seine widerstandsfreie Leitung beim Abkühlen beruht stattdessen auf einem unkonventionellen Mechanismus. Damit ist dieses Material der erste unkonventionelle Supraleiter, der auch in der Natur vorkommt. Allerdings: Weil das Miassit in der Natur immer zahlreiche Verunreinigungen enthält, ist es dort nicht supraleitend. „Die Natur versteht es, ihre Geheimnisse zu verbergen“, konstatieren Kim und sein Team.
Sie hoffen, in Zukunft noch mehr über die Mechanismen hinter solchen unkonventionellen Supraleitern herauszufinden. Denn unter ihnen könnte auch ein Material sein, das die ersehnte Supraleitung bei Raumtemperatur ermöglicht. „Die Mechanismen zu kennen, ist der Schlüssel zu ökonomisch fundierten Anwendungen der Supraleitung“, so die Forschenden. (Communications Materials, 2024; doi: 10.1038/s43246-024-00456-w)
Quelle: U.S. Department of Energy / Ames National Laboratory