Chemie

Wasserstoff beim Quantentunneln erwischt

Forscher beobachten erstmals Tunnelreaktion von Deuterium und Wasserstoff

Quantentunneln
Das Quantentunneln erlaubt es Teilchen, eine energetische Barriere zu durchbrechen und so beispielsweise eine chemische Reaktion auch unterhalb seiner Energieschwelle ablaufen zu lassen. © Harald Ritsch/ Universität Innsbruck

Durch die Energiebarriere: Durch das Quantentunneln können chemische Reaktionen auch unterhalb der eigentlich nötigen Energieschwelle stattfinden. Eine solche quantenphysikalische Tunnelreaktion haben Forschende nun erstmals experimentell beobachtet und im Quantenmodell nachvollzogen. Ein negativ geladenes Deuterium-Ion reagierte dabei durch Tunneln mit molekularem Wasserstoff. Es handelt sich dabei um die langsamste Reaktion mit geladenen Teilchen, die je beobachtet wurde.

In der Quantenphysik gelten andere Gesetze als in unserer Makrowelt. In der Quantenwelt können Teilchen beispielsweise energetische oder physikalische Barrieren durchdringen: Sie durchtunneln die Barriere. Möglich wird dies, weil der Aufenthaltsort und das Verhalten des Teilchens von Wahrscheinlichkeiten bestimmt wird – und es existiert eine gewisse, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit, dass das Teilchen sich jenseits der Barriere befindet.

Schwer fassbares Tunneln

In der Chemie führt das Quantentunneln beispielsweise dazu, dass Atome in einem Molekül ihre Plätze wechseln oder dass chemische Reaktionen auch unterhalb der eigentlich nötigen Schwellenenergie ablaufen. „Solche Tunnelreaktionen sind wegen der komplexen Quantendynamiken aber nur schwer theoretisch zu modellieren und auch ihr experimenteller Nachweis ist sehr schwierig“, erklären Robert Wild und seine Kollegen von der Universität Innsbruck.

Das Problem: Eine durch den Tunneleffekt ablaufende Reaktion ist sehr unwahrscheinlich. Dadurch findet sie nur bei sehr wenigen beteiligten Teilchen statt und verläuft gewissermaßen schleichend. Wild und seine Kollegen haben nun eine Reaktion gefunden, die sich einerseits gut beobachten lässt und die andererseits noch einfach genug ist, um die Vorgänge quantenmechanisch zu beschreiben.

Deuterium-Ion und molekularer Wasserstoff in der Kältefalle

Für ihr Experiment wählten die Forscher die Reaktion eines negativ geladenen Deuterium-Ions (D) – einem Wasserstoff-Isotop mit einem zusätzlichen Neutron – mit einem molekularen Wasserstoff (H2). Werden diese Reaktionspartner in einer Ionenfalle bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt, fehlt den Deuterium-Ionen die Energie, um bei einer Kollision auf konventionelle Weise mit den Wasserstoff-Molekülen zu reagieren.

Doch das Tunneln macht es möglich, dass es in seltenen Fällen beim Zusammenstoß der beiden Partner trotzdem zu einer Reaktion kommt. Dann tauschen sie ein Proton aus und entsteht ein Wasserstoff-Ion (H) und ein Wasserstoff-Deuterium-Molekül (HD). „In unserem Experiment geben wir möglichen Reaktionen in der Falle rund 15 Minuten Zeit und bestimmen dann die Menge der entstandenen Wasserstoff-Ionen“, erkläret Wild. „Aus deren Anzahl können wir ableiten, wie oft es zu einer Reaktion gekommen ist.“

Schleichende Tunnelreaktion

Die Messungen ergaben: Etwa 950 Sekunden nach Versuchsbeginn zeigte sich in den Messungen ein Anstieg der Wasserstoffionen. „Ihre Dichte lag bei 2,8 mal 1014 pro Kubikzentimeter, was anzeigt, dass tatsächlich eine Reaktion stattgefunden hat“, berichten Wild und sein Team. Die von ihnen ermittelte Reaktionsrate lag bei rund einer Reaktion pro 100 Milliarden Kollisionen. „Diese Rate deckt sich sehr gut mit den quantentheoretischen Vorhersagen für die Tunnelrate von Deuterium-Ionen mit molekularem Wasserstoff bei diesen Temperaturen“, so das Team.

Die Forscher ergänzten ihre Beobachtungen durch weitere Analysen und theoretische Rekonstruktion der quantenmechanischen Vorgänge. Damit gibt es nun erstmals ein präzises theoretisches Modell für den Tunneleffekt in einer chemischen Reaktion. „Dies kann als Benchmark für die Molekültheorie dienen und trägt dazu bei, die fundamentalen Kollisionsprozesse besser zu verstehen“, schreiben die Wissenschaftler.

Bedeutung auch für Elektronik, Mikroskopie und Astrochemie

Auf den neuen Erkenntnissen aufbauend kann die Forschung nun einfachere theoretische Modelle für chemische Reaktionen entwickeln und diese an der nun erfolgreich demonstrierten Reaktion testen. Wichtig ist dies nicht nur die für die Grundlagenforschung, sondern auch für praktische Anwendungen. So spielt der Tunneleffekt beispielsweise im Rastertunnelmikroskop und in Flash-Speichern eine wichtige Rolle. Auch der Alpha-Zerfall von Atomkernen lässt sich über das Quantentunneln beschreiben.

Die Tatsache, dass das Tunneln auch chemische Reaktionen bei extrem niedrigen Temperaturen erlaubt, spielt zudem eine Rolle auch für die Astrochemie – und sogar die Entstehung wichtiger Lebensbausteine. Denn Vorläufer der biochemischen Lebensbausteine existieren Beobachtungen zufolge in interstellaren Dunkelwolken des Weltraums. Wie die dafür nötigen Reaktionen in diesem extrem kalten Umfeld ablaufen können, ist zurzeit noch ungeklärt. Das Tunneln könnte eine mögliche Lösung bieten. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05727-z)

Quelle: Universität Innsbruck

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