Umgekehrte Zeit: Physiker haben ein Protokoll entwickelt und experimentell umgesetzt, durch das sich Quantenprozesse zeitlich „zurückspulen“ lassen. Im Prinzip kommt es dabei zu einer lokal begrenzten Zeitumkehr – einem in der makroskopischen Welt unmöglichen Prozess. Anders als frühere Ansätze ist das neue „Rewinding“-Protokoll zudem universell anwendbar und ermöglicht diese Umkehr mit sehr hohen Wahrscheinlichkeiten, wie die Forscher berichten. Das mache es praktisch breit anwendbar.
In unserem Alltag und in der klassischen Physik ist die Zeit eine Einbahnstraße: Sie kann nur vorwärtslaufen. Denn Zeit und Entropie sind eng verknüpft und die zunehmende thermodynamische „Unordnung“ kann nicht ohne Einwirkung von außen rückgängig gemacht werden. Eine heruntergefallene Tasse setzt sich nicht von selbst wieder zusammen und eine Pusteblume wird nicht wieder zur Löwenzahnblüte.
Überlagerung ermöglicht lokales „Zurückspulen“
Doch in der Quantenphysik gelten andere Regeln. Weil in der Welt der kleinsten Teilchen Wahrscheinlichkeiten regieren, können im Phänomen der Überlagerung verschiedene Zustände gleichzeitig existieren – wie im berühmten Gedankenexperiment von Schrödingers Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist. Diese Dualität gilt sogar für die Zeit, denn auch die Richtungen des Zeitpfeils überlagern sich. Theoretisch müsste es demnach möglich sein, die Zeit in einem Quantensystem umzukehren – ähnlich wie man die Phase einer Lichtwelle durch spezielle Spiegel umkehren kann.
Tatsächlich gibt es bereits einige Indizien dafür, dass solche lokal begrenzten Verstöße gegen die Gesetze der Thermodynamik möglich sind. Physiker haben dies auch schon beobachtet, beispielsweise an Qubits, die von einer zunehmend „unscharfen“ Position wieder zum lokalisierten, bekannten Ausgangszustand zurückkehren. Der Haken: Solche Umkehrungen treten in diesen Protokollen nur extrem selten und zufällig auf, außerdem dauert dieses „Rewinding“ dreimal so lange wie der normal vorwärts laufende Prozess.
Ein universelles Rewinding-Protokoll
Jetzt hat sich dies geändert: Physiker um Peter Schiansky von der Universität Wien haben ein quantenphysikalisches Rewinding-Protokoll entwickelt, das mit nahezu beliebig hoher Wahrscheinlichkeit ablaufen kann und damit quasi deterministisch ist. „Bemerkenswert ist, dass für dieses Protokoll nicht einmal die Art der Wechselwirkungen mit dem Quantensystem bekannt sein muss“, sagt Schiansky.
Der Vorteil daran: Eines der Kernprinzipien der Quantenphysik ist, dass sich Systeme allein durch Beobachtung verändern. Dies macht es selbst im Prinzip unmöglich, die Veränderung eines Systems in der Zeit zu verfolgen und den Prozess umkehrbar zu machen. Denn schon durch das Mitverfolgen verändert man die Bedingungen irreversibel. Doch bei dem neuentwickelten universellen Rewinding-Protokoll ist dies anders: Es kann angewendet werden, ohne dass man den betreffenden Prozess im Quantensystem und seinen Anfangs- und Endzustand genau kennen muss.
Photonen-Zeitumkehr mit hoher Ausbeute
Wie das funktioniert, haben die Physiker in einem Experiment demonstriert. Dazu nutzten sie eine photonische Plattform, in der einzelne Photonen mithilfe von Spiegeln und Strahlteilern auf verschiedene Pfade gelenkt und je nach Weg verschieden polarisiert wurden. Das Team beschreibt diesen als „unbekannte, aber wiederholbare Störung“, die eine zeitlich bedingte Veränderung des Teilchens auslöst. „Diese Störung kann im Prinzip durch jede physikalische Interaktion und daher in beliebigen Quantensystemen erreicht werden“, erklären Schiansky und sein Team.
Für die Rückführung des Photons in seinen Ausgangszustand setzen die Physiker einen speziellen Quantenschalter ein, durch den es zu einer interferometrischen Überlagerung des manipulierten Photons und seiner in optischen Schleifen erzeugten Zustände kommt. Letztlich erlaubt es dieser Aufbau, die Entwicklung des Photons quasi zurückzuspulen. „Mit dieser photonischen Plattform haben wir eine durchschnittliche Rewinding-Quote von über 95 Prozent erreicht“, berichten die Forscher.
Breit praktisch anwendbar
Damit haben Schiansky und sein Team ein universelles Rewinding-Protkoll entwickelt und experimentell nachgewiesen, dass diese Form der Zeitrumkehr in Quantensystemen machbar ist. „Unser experimentelles Quanten-Protokoll übertrifft die optimalen klassischen Strategien in Bezug auf die Zuverlässigkeit der resultierenden Zustände signifikant“, konstatiert das Team. „Damit bringt unser Protokoll die Quanten-Zeitumkehr in ein Regime der praktischen Relevanz.“
Nach Ansicht der Physiker könnten solche Protokolle in Zukunft ein nützliches Werkzeug in Quanteninformationstechnologien werden – auch wegen ihrer breiten Anwendbarkeit. „Unsere photonische Implementierung bietet einen besonders einfachen und robusten Ansatz, der auf einer technisch ausgereiften Plattform basiert“, erklären sie. Gleichzeitig funktioniere das Prinzip sowohl für Photonen wie auch für andere Quantenteilchen. (Optica, 2023; doi: 10.1364/OPTICA.469109)
Quelle: Universität Wien