Aus hinten wird vorn: Physiker haben erstmals eine elektromagnetische Welle zeitlich gespiegelt – und dadurch ihre zeitliche Abfolge teilweise umgekehrt. Der hintere Teil des Strahlenpulses kommt zuerst wieder am Ausgangsort an. Außerdem werden Polarität und Frequenz der Welle dadurch verändert, wie das Team in „Nature Physics“ berichtet. Möglich wurde diese Zeitreflexion durch ein Metamaterial, das seinen elektrischen Widerstand während der Wellenausbreitung rapide umschaltet.
Das Phänomen der räumlichen Reflexion kennen wir alle: In einem Spiegel wird das Licht so zurückgeworfen, dass wir unser Gesicht vor uns sehen oder ein Laserstrahl abgelenkt wird. Auch Schallwellen können reflektiert werden und erzeugen dann ein Echo oder den Effekt einer Flüstergalerie. Bei diesen Reflexionen bleiben jedoch Wellenform und Abfolge gleich: Der vordere Teil eines Strahlenpulses wird zuerst reflektiert und kommt daher auch wieder zuerst bei uns an.
Zeitreflexion kehrt die normale Abfolge um
Doch es geht auch anders, wie nun Hady Moussa von der City University of New York und seine Kollegen demonstrieren. Denn neben der räumlichen Dimension lässt sich auch die zeitliche Dimension einer Welle spiegeln – dieses Phänomen wurde schon vor gut 60 Jahren theoretisch vorhergesagt. „Bei einer solchen Zeit-Reflexion wird ein Teil des Input-Signals umgekehrt und sein Frequenzspektrum verändert, während sein Impuls erhalten bleibt“, erklären die Physiker.
Durch eine solche zeitliche Spiegelung kommt der hintere Teil eines Wellenzuges zuerst wieder am Ausgangspunkt an, erst dann folgt der vordere Wellenteil. Übertragen auf den Schall würde sich eine solche zeitliche Reflexion so anhören, als wenn man ein Band zurückspult oder als wenn der zweite Teil jedes Wortes und Satzes vor dem ersten ertönt. „Es ist wirklich faszinierend, wie anders sich zeitreflektierte Wellen im Vergleich zu räumlich reflektierten verhalten“, sagt Moussas Kollege Andrea Alu.
Schneller Wechsel im Medium nötig
Wie aber erzielt man eine solche Zeitreflexion? Theoretischen Modellen zufolge findet diese Umkehrung statt, wenn die Eigenschaften des Mediums mit der doppelten Geschwindigkeit der Wellenfrequenz wechseln. Doch das war bisher kaum praktisch umsetzbar: „Solche Zeit-Wechselwirkungen wurden bisher nur für Wasserwellen demonstriert, in der Photonik fehlten sie aber“, so die Physiker. Es sei einfach sehr schwer, die Eigenschaften eines Mediums schnell genug, regelmäßig genug und mit genügend Kontrast zu ändern, um elektromagnetische Signale zeitlich zu reflektieren.
Dank eines dynamischen Metamaterials ist dies Moussa und seinem Team nun jedoch gelungen. Basis des Experiments bildet ein sechs Meter langer metallischer Leiter, der in 30 in Serie geschaltete Untereinheiten aufgeteilt ist. Jede Einheit ist über einen Wechselstromwiderstand mit der nächsten verknüpft. Sobald nun das elektromagnetische Mikrowellen-Signal in diesen Leiter eingespeist wird, wechseln diese Schalter ihren Zustand und springen rapide zwischen zwei Widerstandswerten hin und her.
„Durch die Schalter können wir den effektiven Widerstand pro Längeneinheit schneller ändern als die halbe Wellenlänge des durch das Medium geschickten Breitbandsignals“, erklären Moussa und sein Team. „Dadurch entsteht eine Zeit-Spiegelung mit der daraus resultierenden Zeitreflexion und einer Frequenzumwandlung des Breitbandsignals.“
Hinterer Puls kommt zuerst wieder an
Messbar wurde die Zeitreflexion an den veränderten Merkmalen des Mikrowellen-Signals: Das Eingangssignal bestand aus asymmetrischen Wellenpulsen mit zuerst einer niedrigeren, dann einer höheren Signalstärke.“ Innerhalb von drei Nanosekunde nachdem die Schalter aktiviert wurden, wird ein Teil des Input-Signals zeitlich gespiegelt und kehrt zum Ausgangspunkt zurück. Dort werden die beiden Signal-Peaks in umgekehrter Reihenfolge gemessen“, beschreiben die Physiker das Phänomen.
Zusätzlich zur umgekehrten Reihenfolge zeigten die zeitlich reflektierten Pulse auch eine umgekehrte Polarität und eine geänderte Frequenz: Die zentrale Frequenz von zeitreflektierten Wellen im Bereich von 30 bis 60 Megahertz wird im Schnitt um 55 Prozent ins Rote verschoben“, berichten Moussa und sein Team. In einem ergänzenden Versuch gelang es ihnen, zwei solcher Zeitreflexionen so zu kombinieren, dass eine Interferenz von sich überlagernden, zeitlich reflektierten Wellen entstand.
„Damit haben wir die zeitliche Version einer Resonator-Kammer erzeugt, die beispielsweise als neue Form einer Filtertechnologie für elektromagnetische Signale dienen kann“, erklärt Moussas Kollege Shixiong Yin.
Anwendungen in Telekommunikation und Photonik
Nach Ansicht der Forschenden eröffnet die Zeitreflexion elektromagnetischer Wellen neue Möglichkeiten, um beispielsweise Signale in der Telekommunikation oder Computertechnik noch weitreichender zu manipulieren als nur durch räumliche oder elektronische Methoden. „Unsere Ergebnisse ebenen den Weg hin zu Zeit-Interfaces für eine ganze Bandbreite von elektromagnetischen und photonischen Anwendungen“, so das Team.
Auch neuartige photonische Zeitkristalle und Zeit-Metamaterialien könnten sich nach diesem Prinzip realisieren lassen. „Die exotischen Eigenschaften von Metamaterialien wurden bisher schon auf vielerlei Weise für räumliche Wechselwirkungen genutzt“, sagt Yin. „Unser Experiment belegt nun, dass man auch zeitliche Wechselwirkungen hinzufügen kann, um so den Freiheitsgrad der Wellenmanipulation weiter zu erhöhen.“ (Nature Physics, 2023; doi: 10.1038/s41567-023-01975-y)
Quelle: Advanced Science Research Center, GC/CUNY