Medizin

Botox-Injektion beeinflusst auch die Emotionen

Lähmung der Stirnmuskeln mindert negative Gefühle bei Depressionen und Borderline-Syndrom

Botox-Injektion
Eine Botox-Injektion in die Stirn hilft nicht nur gegen Falten, sie könnte auch einige psychische Erkrankungen abmildern. © Ihor Bulyhin/ Getty images

Verblüffende Rückkopplung: Wenn die Stirnmuskeln durch Botox gelähmt werden, verhindert dies nicht nur Zornesfalten – es kann auch unsere Stimmung beeinflussen und sogar Depressionen und Ängste lindern, wie Wissenschaftler herausgefunden haben. Das funktioniert, weil unsere Mimik eng mit unserer Psyche verknüpft ist: Erhält das Gehirn die Information, dass wir die Stirn runzeln, kann dies negative Emotionen verstärken. Wird diese Rückkopplung hingegen durch Botulinumtoxin blockiert, scheint dies das Gefühlszentrum zu beruhigen.

Botulinumtoxin – umgangssprachlich Botox – ist ein potentes Nervengift. Es hemmt die Erregungsübertragung von Nervenzellen auf Muskeln und führt daher zu Lähmungen. Sind von einer solchen Botulinum-Vergiftung Herz- und Atemmuskulatur betroffen, endet dies tödlich. Doch in kleinen Dosen kann das Gift auch hilfreich sein: Lokale Botox-Injektionen können gegen Lidkrampf, überaktive Schweißdrüsen und Migräne helfen. Viele Frauen lassen sich zudem Botox unter die Haut der Stirn spritzen, um dort Falten vorzubeugen.

Botox
Das von Bakterien produzierte Botulinumtoxin ist eines der stärksten Nervengifte, kann aber auch medizinischen Nutzen haben. © Hailshadow/ iStock

Rückkopplung zwischen Mimik und Gefühlen

Doch gerade die Injektion von Botox in die Stirn könnte bisher weitgehend unbeachtete Nebenwirkungen haben. Denn schon länger besteht der Verdacht, dass unsere Mimik eng mit unserem Gefühlleben verknüpft ist. Nach dieser sogenannten Facial-Feedback-Theorie senden Propriorezeptoren in den Gesichtsmuskeln Signale ans Gehirn, die je nach Mimik positive oder negative Gefühle verstärken können.

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass beispielsweise selbst ein künstliches Lächeln unsere Stimmung aufhellen kann. Umgekehrt kann das Zusammenziehen der Augenbrauen und Runzeln der Stirn offenbar negative Gefühle wie Zorn oder Angst verstärken. An diesem Punkt kommt nun das Botox ins Spiel: Wenn durch die Injektion des Nervengifts die Muskeln der unteren mittleren Stirnpartie lahmgelegt werden, bleibt diese sogenannte Glabellarregion zwangsweise entspannt – die Rückkopplung bleibt aus.

Wirksam gegen Depression und Ängste

Das wirft die Frage auf, ob eine Botox-Injektion womöglich psychische Leiden wie Depression, Angststörungen oder auch das Borderline-Syndrom lindern kann. Ein Team um Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover hat genau dies näher untersucht. Bereits Anfang 2021 ergab eine erste Studie dazu, dass eine Botox-Injektion in die Stirn die Schwere einer Depression lindern kann. Mit Botox behandelte Patienten zeigten eine stärkere Besserung ihrer Symptome als Patienten, die nur eine Placebo-Injektion erhalten hatten.

Ende 2021 ergab eine weitere Studie von Krüger und seinem Team, dass eine Injektion von Botox in die Nackenmuskeln sowie in bestimmte Bein- und Armmuskeln auch Angststörungen mildern kann: Durch die vom Botulinumtoxin bewirkte Entspannung der Muskeln schwächt auch die psychische Anspannung ab. „Die Rückkopplung zwischen Muskelaktivität und Emotionen ist demnach über das Gesicht hinaus wirksam“, erklärt das Forschungsteam.

Funktioniert dies auch beim Borderline-Syndrom?

Jetzt haben die Wissenschaftler die Wirkung von Botox auf eine weitere psychische Erkrankung getestet: das Borderline-Syndrom. Betroffene leiden unter Stimmungsschwankungen, verstärkten negativen Gefühlen und können ihre Impulse schwer kontrollieren. Etwa drei Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an dieser psychischen Störung, mehr als 62 Prozent davon sind Frauen.

Für ihre Studie injizierten Krüger und sein Team 24 Borderline-Patientinnen zweimal im Abstand von zwei Wochen Botox in die Stirnmuskeln. 21 weitere Patientinnen erhielten stattdessen eine Akupunktur in diesem Bereich. Im Verlauf der mehrwöchigen Studienzeit wurden das Befinden und die Reaktion der Testpersonen auf emotionale Reize untersucht. Dabei analysierten die Forschenden auch die Hirnaktivität mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT).

Botox-Effekt beruhigt überaktive Amygdala

Es zeigte sich: Die Botox-Injektion in die Stirn milderte die typischen Symptome des Borderline-Syndroms bei den Patientinnen etwas stärker ab als bei der Akupunktur-Kontrollgruppe. Dies spiegelte sich auch im Gehirn der Probandinnen wider: Die Aktivität in der Amygdala, dem vor allem für Ängste und andere negativen Gefühle zuständigen Hirnareal im Schläfenlappen, ließ bei den Botox-Patientinnen nach der Injektion nach.

„Wir konnten sehen, dass Botulinumtoxin das emotionale Dauerfeuer im Mandelkern drosselt, welches die hochgradige innere Anspannung der Betroffenen begleitet“, sagt Krüger. Die Akupunktur-Vergleichsgruppe zeigte zwar auch verbesserte klinische Symptome, nicht jedoch die positiven neuronalen Effekte. „Damit liefert unsere Studie die ersten Belege dafür, dass Botox-Injektionen in die Glabellarregion zentrale neurobiologische und verhaltensspezifische Aspekte der Borderline-Persönlichkeitsstörung beeinflusst“, konstatieren die Wissenschaftler.

Noch ist die Botox-Behandlung bei psychischen Erkrankungen experimentell und wird auch nicht von den Krankenkassen bezahlt. Krüger hofft aber, dass sich das ändert, wenn die Wirkweise noch besser erforscht ist. (Journal of Psychiatric Research 2021, doi: 10.1016/j.jpsychires.2021.01.016; Scientific Reports 2022, doi: 10.1038/s41598-022-17509-0)

Quelle: Medizinische Hochschule Hannover

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