Kognitionsforschung

„Kalt“ ist für das Hirn etwas anderes als „nicht heiß“

Wie unser Gehirn verneinte Adjektive verarbeitet

Illustration des Gehirns
Mit welchen Adjektiven wir einen Zustand beschreiben, beeinflusst die Art und Weise, wie unser Gehirn diesen interpretiert. © metamorworks / iStock

Kein simpler Umkehrschluss: Indem wir ein „nicht“ davorsetzen, können wir theoretisch jedes Adjektiv verneinen, um sein Gegenteil zu beschreiben. In unserem Gehirn kommt dabei jedoch ein anderes Signal an, wie eine neue Studie zeigt. „Kalt“ ist beispielsweise für unser Denkorgan etwas anderes als „nicht heiß“. Wie wir einen Zustand beschreiben, beeinflusst demnach die Art und Weise, wie unser Gehirn diesen interpretiert. Wie funktioniert die Verneinung auf neuronaler Ebene?

Im Alltag nutzen wir häufig Verneinungen, um Objekte oder Situationen zu beschreiben: Das Wasser ist zum Beispiel nicht kalt, ein Raum nicht hell und die Lage nicht schlecht. Doch wie unser Gehirn solche verneinten Adjektive verarbeitet, ist bislang kaum erforscht. Frühere Studien deuten darauf hin, dass die Neuronen im Gehirn negierte Phrasen langsamer und mit mehr Fehlern verarbeiten als ihre positiv formulierten Gegenstücke. Künstliche neuronale Netze scheinen mit Verneinungen hingegen keine Schwierigkeiten zu haben. Warum aber verarbeitet unser Gehirn Negationen anders als ein Computer? Was passiert dabei auf neuronaler Ebene?

Unser Gehirn erkennt Verneinungen nur langsam

Um das herauszufinden, hat ein Team um Arianna Zuanazzi von der New York University nun ein Experiment mit 78 Testpersonen durchgeführt. Die Teilnehmenden sollten verschiedene bejahende oder verneinte Adjektive auf einem Bildschirm lesen und deren Bedeutung auf einer Skala von eins (sehr negativ) bis zehn (sehr positiv) bewerten. Zum Beispiel sollten sie die Wörter „gut“ und „schlecht“ sowie ihre Verneinungen „nicht gut“ und „nicht schlecht“ einordnen. Die Forschenden verfolgten dabei die Mausbewegungen der Testpersonen auf dem Bildschirm.

Dabei zeigte sich: Bei negierten Adjektiven wie beispielsweise „nicht glücklich“ antworteten die Testpersonen tatsächlich langsamer und interpretierten deren Bedeutung unterschiedlicher als bei affirmativen Wörtern wie „glücklich“. Zudem tendierten die Probandinnen und Probanden zunächst dazu, die verneinten Adjektive als bejahend zu verstehen, bevor sie ihr Kreuz auf der Skala bei der entgegengesetzten Bedeutung setzten, wie die Mausbewegungen verrieten. Eine Wiederholung dieses Experiments mit 55 anderen Personen ergab dasselbe Ergebnis.

Abgeschwächte Bedeutung statt Umkehrschluss

In einem zweiten Experiment bewerteten 26 weitere Testpersonen ebenfalls bejahende oder verneinte Phrasen auf einer Skala. Währenddessen analysierten die Forschenden deren Gehirnaktivität per Magnetenzephalographie (MEG). Dabei ergaben sich erneut langsamere Reaktionszeiten für negierte Adjektive, wie Zuanazzi und ihre Kollegen feststellten.

Zudem zeigten sich bei verneinten Adjektiven ähnliche Aktivitäten im Gehirn wie bei ihren affirmativen Gegenstücken – allerdings in abgeschwächter Ausprägung. Die Forschenden schließen daraus, dass durch die negierten Beschreibungen ähnliche Neuronen aktiviert werden wie durch die positiv formulierten Adjektive. Dabei kombiniert unser Gehirn die einzelnen Wörter – das Adjektiv und „nicht“ – zu einem anderen Aktivitätsmuster als das gegenteilige Adjektiv hervorruft.

Dadurch interpretierten die Teilnehmenden die Verneinungen anfänglich als positiv, milderten ihre Bedeutung dann aber ab, so die Forschenden. Die verneinte Formulierung schwächt demnach die Bedeutung des Adjektivs nur ab, jedoch ohne sie umzukehren – „nicht heiß“ signalisiert in den Neuronen beispielsweise „weniger heiß“ statt „kalt“.

Methodik eröffnet neue Forschungsfragen

Die Studie liefert damit neue Hinweise darauf, wie unser Gehirn Verneinungen verarbeitet. „Die Untersuchung der Negation bietet einen überzeugenden linguistischen Rahmen, um zu verstehen, wie das menschliche Gehirn durch kombinatorische Prozesse Bedeutung aufbaut“, schreiben die Autoren. Die Methodik könnte künftig auch verwendet werden, um die neuronale Verarbeitung von Sprache bei anderen Wortkonstrukten zu erforschen. (PLOS Biology, 2024; doi: 10.1371/journal.pbio.3002622)

Quelle: PLOS

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