Doch keine „Bierbrille“: Entgegen der allgemeinen Annahme erscheinen uns andere Menschen unter Alkoholeinfluss nicht attraktiver, wie Forschende nun herausgefunden haben. Anstelle eines „Schöntrinkens“ senkt der Alkohol wahrscheinlich einfach nur unsere Ansprüche, sodass wir uns betrunken auch mit weniger attraktiven Sexualpartnern zufriedengeben. Gleichzeitig macht Alkohol uns aber auch mutiger, sodass wir plötzlich mit Personen flirten, die wir sonst als „zu attraktiv“ für unser eigenes Aussehen wahrgenommen hätten.
„Geh mal Bier hol’n. Du wirst schon wieder hässlich. Ein, zwei Bier und du bist wieder schön“, heißt es in einem Ballermann-Hit von Mickie Krause. Tatsächlich ist der Glaube weit verbreitet, dass wir unter Alkoholeinfluss potenzielle Sexualpartner attraktiver finden als im nüchternen Zustand. Zwar ist erwiesen, dass sich unsere subjektive Wahrnehmung durch Alkohol ändern kann, etwa indem sich unser Blick für fröhliche Gesichter schärft, doch inwiefern das auch auf die wahrgenommene Attraktivität anderer zutrifft, ist nicht final geklärt.
Barfeeling im Labor
Molly Bowdring von der Stanford University und Michael Sayette von der University of Pittsburgh sind dem Phänomen der „Bierbrille“ nun genauer auf den Grund gegangen. Dafür luden sie 18 Männer ein, die sich selbst als soziale Trinker bezeichneten. Jeder der Versuchsteilnehmer sollte einen Freund mitbringen, mit dem er regelmäßig trinken geht. So sollte eine Situation entstehen, die mehr an eine Bar statt an ein steriles Labor erinnert, und dadurch zu realitätsnäheren Ergebnissen führt.
Die 21 bis 28 Jahre alten Männer-Duos mussten an zwei verschiedenen Tagen jeweils dieselben Aufgaben lösen – an einem der Tage waren sie nüchtern, am anderen alkoholisiert. In beiden Fällen bekamen sie Fotos und Videos von jenem Geschlecht gezeigt, das für sie nach eigenen Angaben als Sexualpartner in Frage kommt. Dabei mussten sie die Attraktivität der gezeigten Personen bewerten und am Ende diejenigen auswählen, mit denen sie bei einem angeblichen weiteren Experiment am liebsten interagieren würden.
So konnten Bowdring und Sayette einerseits herausfinden, ob sich die subjektive Wahrnehmung der Attraktivität verändert hatte, und andererseits, ob der Alkohol sich auf den Mut, attraktive Menschen zu kontaktieren und sie anzusprechen, ausgewirkt hatte.
Kein „Schöntrinken“ nachweisbar
Das Ergebnis: Ob die Teilnehmer berauscht waren oder nicht, hatte keinen Einfluss darauf, wie attraktiv sie die Personen auf den Fotos und Videos fanden, berichten die Forschenden. Sie gehen daher davon aus, dass der Alkohol kein „Schöntrinken“ im eigentlichen Sinne ermöglicht. Unsere Wahrnehmung und unser Empfinden für Attraktivität werden demnach auch unter Alkoholeinfluss nicht verändert.
Wenn wir unter Alkoholeinfluss auch mal mit jemandem flirten, den wir nüchtern vielleicht nicht angesprochen hätten, könnte das stattdessen an einer anderen Wirkung des Alkohols liegen: Er kann generell Hemmungen lösen und bei manchen Menschen sexuelle Bedürfnisse verstärken. Unsere Ansprüche können dadurch sinken und eine hohe Attraktivität ist dann nicht mehr zwingend ausschlaggebend für nachfolgende sexuelle Handlungen, so die Forschenden.
Alkohol macht mutiger
Doch Bowdring und Sayette konnten auch einen gegenteiligen Effekt feststellen: Unter Alkoholeinfluss „trauten“ sich die Studienteilnehmer eher, mit denjenigen Personen zu interagieren, die sie am attraktivsten fanden. Im nüchternen Zustand landeten durchschnittlich 2,17 Personen aus ihren Top Vier in der Auswahl derjenigen, die sie beim nächsten Experiment näher kennenlernen wollten. Hatten die Teilnehmer jedoch Alkohol getrunken, waren es im Schnitt 2,69 Personen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens einer der für die Kontaktanbahnung ausgewählten Personen zu den vier attraktivsten Personen gehörte, war unter Alkoholeinfluss 1,71-mal höher als im nüchternen Zustand, wie die Forschenden berichten. Bowdring und Sayette sehen im Alkohol daher eher „flüssigen Mut“ statt einer „Bierbrille“. Indem der Alkohol das Selbstvertrauen der Männer gestärkt und ihre Angst vor Zurückweisung geschmälert hatte, trauten sie sich auf einmal, auch Personen „außerhalb der eigenen Liga“ anzusprechen, was sie nüchtern eher nicht getan hätten. (Journal of Studies on Alcohol and Drugs, 2023; doi: 10.15288/jsad.22-00355)
Quelle: Journal of Studies on Alcohol and Drugs