Empathietests vor und nach dem Zocken
Ob die Angst vor einer emotionalen Abstumpfung begründet ist, hat nun ein internationales Forschungsteam um Lukas Lengersdorff von der Universität Wien getestet. Zuerst ermittelten die Wissenschaftler, wie empathisch die 89 erwachsenen Studienteilnehmer vor Spielbeginn waren. Dafür erfassten sie mittels Befragung und funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRI), wie die Versuchspersonen auf Bilder grausamen Inhalts wie blutige Verletzungen, Gewalttaten oder verstümmelte Toten reagieren.
Danach spielten die Männer zwei Wochen lang jeweils eine Stunde am Tag das Open-World-Game Grand Theft Auto V in zwei Versionen: Die Teilnehmer der Experimentalgruppe durchliefen das reguläre Spiel als bewaffnete Charaktere und hatten die Aufgabe, so viele virtuelle Figuren wie möglich umzubringen. Die Kontrollgruppe spielte hingegen ein von allen Gewaltdarstellungen bereinigtes Spiel, in der weder sie noch andere Spielfiguren Waffen besaßen und Angriffe durchführten. Ihre Aufgabe bestand im Fotografieren der virtuellen Figuren.
Nach Abschluss der Spielphase wurde das Mitgefühl der Testpersonen für den Schmerz anderer abermals getestet.
Kein Einfluss auf psychisch gesunde Erwachsene
Das Ergebnis: Die Teilnehmer der Experimentalgruppe, welche die gewaltreiche Version des Computerspiels absolviert hatten, reagierten nach der Spielphase genauso intensiv auf die abschreckenden Bilder wie davor. Auch die Hirnaktivität in den für die Verarbeitung von Gefühlen zuständigen Hirnarealen wie der Amygdala hatten sich nicht verändert, wie die Forschenden berichten. Zudem konnten sie auch keine signifikanten Unterschiede zur Kontrollgruppe mit der entschärften Spielversion nachweisen.
„Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass eine kurze und kontrollierte Exposition gegenüber gewaltreichen Videospielen die Empathie der Nutzer nicht dämpft und auch nicht ihre Reaktion auf Gewalt in der realen Welt“, konstatieren Lengersdorff und seine Kollegen. Dies widerspreche einflussreichen Theorien, nach denen das wiederholte Spielen solcher Computerspiele die Empathie dämpfe.
Diskrepanz zu früheren Studien
Laut Lengersdorff erlauben diese Erkenntnisse einen kritischen Blick auf vorangehende Studien zum Thema: „Ein paar Stunden Videospielgewalt haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Empathie von psychisch gesunden, erwachsenen Versuchspersonen. Diesen Schluss können wir eindeutig ziehen. Damit widersprechen unsere Ergebnisse jenen früherer Studien, in welchen negative Effekte schon nach einigen Minuten Spielzeit vermeldet wurden.“
Dieser Unterschied liege höchstwahrscheinlich daran, dass die Tests mit gewalttätigen Games in den meisten früheren Experimenten unmittelbar vor der Datenerhebung durchgeführt wurden. „Mit solchen Versuchsanordnungen lassen sich allerdings die kurzfristigen Effekte von Videospielen nicht von den langfristigen unterscheiden“, sagt Lengersdorff.
Ballerspiele trotzdem gewaltfördernd?
Sind die Sorgen im öffentlichen Diskurs also unbegründet? Die Autoren raten von vorschnellen Schlüssen ab. „Gerade, weil es um so ein heikles Thema geht, müssen wir bei der Interpretation dieser Ergebnisse sehr vorsichtig sein“, erläutert Lengersdorff. „Die Schlussfolgerung kann auf keinen Fall sein, dass gewalttätige Videospiele jetzt endgültig als unschädlich bewiesen sind. Für solche Aussagen fehlen in unserer Studie die Daten“.
Nach Ansicht der Forschenden bedarf es weiterer Forschung, um zu überprüfen, ob sich auch nach deutlich längerem Kontakt mit virtueller Gewalt keine negativen Folgen zeigen. „Die wichtigste Frage ist natürlich: Sind auch Kinder und Jugendliche immun gegenüber Gewalt in Videospielen? Das junge Gehirn ist hochplastisch, wiederholter Kontakt mit Gewaltdarstellungen könnte daher einen viel größeren Effekt haben“, so Koautor Claus Lamm.
Laut Lamm diktiert die Studie außerdem einen neuen Standard für zukünftige Experimente: „Für eindeutige Aussagen über die Effekte von gewalttätigen Videospielen braucht es starke experimentelle Kontrollen sowie Längsschnitt-Forschungsdesigns, die kausale Schlussfolgerungen erlauben. Mit unserer Studie wollten wir einen Schritt in diese Richtung machen.“ (eLife, 2023; doi: 10.7554/eLife.84951)
Quelle: Universität Wien
30. Januar 2024
- Tine Heni