Gesellschaft

Macht Religion großzügiger?

Einstellung hängt eher von der Zugehörigkeit als vom Glauben ab

Symbolische Tonfiguren von Menschen unterschiedlichen Glaubens
Wer ist am großzügigsten? Symbolische Tonfiguren von Menschen unterschiedlichen Glaubens, erstellt von Nathalie Hallin. © Thor Balkhed

Wohltätigkeit auf dem Prüfstand: In vielen Religionen gehören Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu den Verhaltensregeln. Doch wie großzügig sind religiöse Menschen tatsächlich? Das haben Forschende nun für Angehörige verschiedener Religionsgruppen sowie für Atheisten untersucht. Dabei zeigte sich: Religiöse Menschen sind nicht großzügiger als Agnostiker oder Atheisten, sie spenden aber mehr Geld an Menschen, die ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft angehören. Atheisten wiederum geben mehr Geld an Ungläubige ab.

Der Glaube eines Menschen beeinflusst seine Moral und Werte und damit auch, wie er denkt und handelt. In den meisten Kirchen und Glaubensrichtungen spielen Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft eine große Rolle. Aber macht das religiöse Menschen tatsächlich großzügiger gegenüber anderen Menschen? Oder geben sie genauso viel wie Nicht-Religiöse? Bisherige Studien dazu kamen zu gemischten und widersprüchlichen Ergebnissen.

Wer ist am großzügigsten?

Forschende um Nathalie Hallin von der Universität Linköping sind dieser Frage nun genauer nachgegangen. Dafür führten sie in drei unabhängigen Studien in verschiedenen Ländern dasselbe Experiment durch: in Schweden, in den USA sowie in Ägypten und dem Libanon. Daran nahmen rund 400 beziehungsweise 700 oder 600 Personen teil. Die Testpersonen erhielten jeweils die Aufgabe, insgesamt sechs Mal eine fiktive Geldmenge zwischen sich selbst und drei hypothetischen Mitmenschen aufzuteilen, ohne eine Gegenleistung zu erhalten.

In jeder der sechs Runden erhielten die Testpersonen unterschiedliche Angaben über ihre hypothetischen Mitmenschen, darunter zu deren religiösen und politischen Einstellungen sowie ihren privaten Vorlieben wie Hobbys, bevorzugten Filmen, Schulfächern, Urlaubsorten und Co. Anschließend beantworteten die Studienteilnehmer selbst einen Fragebogen zu diesen Persönlichkeitsaspekten und ihrer Religionszughörigkeit. Die Verhaltensforscher analysierten daraus, welche Angaben die Geberbereitschaft beeinflussten.

Personen gleichen Glaubens bevorzugt

Es zeigte sich in allen drei Studien: Religiöse, nicht-religiöse und unentschlossene Menschen gaben per se im Schnitt gleich viel Geld an Unbekannte ab. Gläubige, Atheisten und Agnostiker waren demnach gleichermaßen großzügig. Sobald die Testpersonen jedoch Angaben über den Glauben ihrer hypothetischen Mitmenschen erhielten, gaben die religiösen Menschen insgesamt etwas mehr Geld ab als unentschlossene Agnostiker und Ungläubige, die jeweils ähnlich viel abgaben.

Besonders großzügig waren die religiösen Testpersonen, wenn das Geld an Menschen desselben Glaubens ging: Christen gaben mehr an Christen als an Muslime und Atheisten; Muslime gaben mehr an Muslime als an Christen und Atheisten. Ähnliches zeigte sich jedoch auch für Nicht-Religiöse: Auch sie gaben am meisten Geld an andere Atheisten ab und weniger an Christen oder Muslime.

Keine Unterschiede zwischen Religionen

Aber gibt es auch Unterschiede zwischen den Religionen? Die Auswertungen zeigten: In den USA waren die Muslime großzügiger gegenüber ihren Glaubenspartnern als Christen und Atheisten untereinander. In der Studie im Libanon und Ägypten zeigte sich hingegen kein Religionsunterschied; dort waren Muslime und Christen gleichermaßen großzügig. Warum die beiden Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen, ist unklar. Möglicherweise spiegeln sich hierbei eher kulturelle oder gesellschaftliche Positionen als religiöse wider, vermuten Hallin und ihre Kollegen.

Auch interessant: In dem Experiment in Schweden gaben Menschen mit konservativer politischer Einstellung insgesamt weniger Geld ab als Sozialisten und Liberale. In den anderen beiden Studien bestätigte sich das jedoch nicht – unabhängig davon, ob die Testpersonen über die politische Einstellung ihrer fiktiven Mitmenschen informiert wurden oder nicht. Doch sofern sie Angaben dazu erhielten, gaben die Teilnehmer in allen drei Studien ihr Geld ebenfalls bevorzugt an Gleichgesinnte, wie das Team berichtet. Dieser Gruppeneffekt zeigte sich auch bei den Hobbys und anderen Vorlieben.

Mehrere Arten von Großzügigkeit

Die Forschenden schließen aus ihrem Experiment, dass sich die Gruppenzugehörigkeit stark auf die Großzügigkeit einer Person auswirkt. Die Studie sagt jedoch nichts über die Religionen per se und andere Arten der Hilfsbereitschaft aus. „Du kannst auch großzügig mit Zeit, mit Liebe oder mit Fürsorge sein“, sagt Koautor Hajdi Moche von der Universität Linköping. (Judgment and Decision Making, 2024; doi: 10.1017/jdm.2024.14)

Quelle: Universität Linköping

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Symbolische Tonfiguren von Menschen unterschiedlichen Glaubens

Macht Religion großzügiger?

Wie Rentiere das Klima schützen

Wie der Wind Schneeflocken umbaut

Glück in der Leber und Wut in den Füßen

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Rituale - Die Macht symbolischer Handlungen

Bücher zum Thema

Die Genetik der Ursünde - Die Auswirkung der natürlichen Selektion auf die Zukunft der Menschheit von Christian René de Duve

Der Luzifer-Effekt - Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen von Philip G. Zimbardo

Was soll das alles? - Gedanken eines Physikers von Richard P. Feynman

Top-Clicks der Woche