Auf die Erwartung kommt es an: Lernen oder Gehirntraining wirken besser, wenn wir von ihrer Wirksamkeit überzeugt sind, wie ein Experiment enthüllt. Die kognitiven Leistungen steigern sich demnach mehr, wenn Übende positive Erwartungen an ihr Gehirntraining haben. Wurde ihnen dagegen suggeriert, es bringe ohnehin nichts, blieb der Lerneffekt mäßig. Die aus der Medizin bekannten Placebo- und Nocebo-Effekte wirken demnach auch bei geistigem Training – eine für Schule, Beruf und Demenzprävention potenziell wichtige Erkenntnis.
Placebo- und Nocebo-Effekte sind aus der Medizin und von Arzneimitteltests her bestens bekannt: Bis zu einem Drittel der Therapiewirkung – beispielsweise bei Schmerzmitteln – können auf diesen von unbewussten Erwartungen geprägten Effekt zurückgehen. Interessanterweise ist der Placeboeffekt aber kein rein psychisches Phänomen: Er ist biochemisch nachweisbar, lässt sich über Hirnstimulation beeinflussen und funktioniert oft sogar dann, wenn Testpersonen wissen, dass sie nur eine Scheinbehandlung erhalten.
Manipuliertes Hirntraining
Doch wie es mit dem Placebo-Effekt bei kognitivem Training – beispielsweise beim Vokabellernen oder beim Hirnjogging zur Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses? Das haben Jocelyn Parong von der University of Wisconsin-Madison und ihre Kollegen nun untersucht. Für ihre Studie ließen sie zunächst alle knapp 200 Testpersonen umfangreiche Tests verschiedener kognitiver Parameter durchführen, um den Ausgangszustand zu ermitteln. Für alle Teilnehmenden folgte darauf eine Trainingsphase mit zehn Sitzungen.
Der Clou dabei: Die Hälfte der Testpersonen erhielt zuvor eine Einführung, in der gezielt positive Erwartungen gegenüber dem Training geweckt wurden – ihnen wurde eine Besserung der geistigen Leistungen in nahezu allen Bereichen in Aussicht gestellt. Der anderen Hälfte wurde erklärt, dass das Training zwar die Leistung in dem spezifisch trainierten Bereich verbessert, dafür aber die kognitive Leistung in anderen Bereichen mindert. Gestützt wurden diese Placebo- und Nocebo-Suggestionen noch dadurch, dass die Gruppen während der Trainingsphase unterschiedlich schwere Zwischentests bekamen.
In der Trainingsphase absolvierten Teilnehmende aus beiden Gruppen entweder gezielte Übungen zur Stärkung des Arbeitsgedächtnisses oder aber Multiple-Choice-Quizze zum Allgemeinwissen – einer Kontrollaufgabe, die Studien zufolge zwar das Wissen stärkt, nicht aber das Arbeitsgedächtnis.
Mehr Verbesserungen bei positiven Erwartungen
Das Ergebnis: Als die Forschenden am Ende der Trainingsphase erneut die kognitiven Fähigkeiten der Testpersonen überprüften, zeigten sich deutliche Unterschiede. „Beim Nachtest schnitten die Personen aus der Placebo-Gruppe signifikant besser ab als diejenigen, die der Nocebo-Manipulation ausgesetzt waren“, berichten Parong und ihre Kollegen. Bei beiden Trainingsarten verbesserten die Teilnehmenden der Placebo-Gruppe ihre allgemeinen geistigen Leistungen, wenn auch in der Quiz-Kontrollgruppe weniger als in der Gedächtnistrainingsgruppe.
Allerdings wirkte der Placeboeffekt nicht auf alle Bereiche der kognitiven Fähigkeiten gleich positiv: „Die Resultate deuten darauf hin, dass die fluide Intelligenz, die kognitive Flexibilität und das Arbeitsgedächtnis mehr von der Wirkung der positiven Erwartung profitieren als die räumliche Kognition und die selektive visuelle Aufmerksamkeit“, erklärt das Team. In den ersten Bereichen zeigten die Teilnehmenden der Placebogruppe deutlich mehr Verbesserung als ihre Nocebo-Kollegen, bei den beiden letzten war dies hingegen nicht der Fall.
Individuelle Unterschiede
Ähnlich wie bei medizinischen Studien zum Placebo-Effekt gab es auch deutliche individuelle Unterschiede zwischen den Testpersonen. Dabei spielt auch die grundsätzliche Haltung gegenüber geistigem Training und Intelligenz eine wichtige Rolle: „Die Personen, die von vornherein der Ansicht waren, dass Intelligenz veränderlich ist und verbessert werden kann, zeigten einen größeren Placebo-Effekt als diejenigen, die Intelligenz für fix hielten“, so Parong und ihre Kollegen.
Unklar ist dagegen bisher, ob das Wissen um die Erwartungs-Manipulation ihren Erfolg beeinträchtigt und wie stark. In der Studie hatte das Team dies untersucht, indem sie ihre Testpersonen nach dem Endtest über die Manipulation aufklären – und eine Woche später erneut die geistigen Leistungen mit dem gleichen Test überprüften. Wie sich zeigte, waren dann die Placebo- und Nocebo-Effekte kaum mehr nachweisbar. Allerdings ist wegen des zeitlichen Abstands unklar, ob dies an der Aufklärung liegt oder schlicht an der seit dem letzten Training vergangenen Zeit. Das müsse daher in künftigen Studien weiter untersucht werden, so das Team.
Relevanz für Lernen und Gedächtnistraining
Insgesamt legen die Ergebnisse aber nahe, dass der Placebo-Effekt und die mit ihm verknüpften positiven Erwartungen auch beim Lernen und Hirntraining wirken. „Unsere Resultate liefern Belege dafür, dass man zumindest in einigen kognitiven Domänen positive Erwartungseffekte beim Hirntraining induzieren kann“, schreiben die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach könnte sich dies beispielsweise beim Lernen, aber auch bei Übungen gegen den geistigen Abbau im Alter in positiver Weise nutzen lassen.
Umgekehrt zeigt die Studie auch, dass es kontraproduktiv sein dürfte, wenn man beispielsweise Schulkinder oder Menschen mit beginnender Demenz schon im Vorhinein demotiviert – indem man ihnen zum Beispiel erklärt, dass das Lernern oder das Hirntraining wahrscheinlich nichts bringen wird. Denn dann könnte schon der Nocebo-Effekt dafür sorgen, dass sich diese negative Erwartung auch erfüllt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2209308119)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences