Neurowissenschaften

Pupillen verraten Aphantasie

Pupillenreflex ermöglicht Diagnose der Unfähigkeit, mentale Bilder zu erzeugen

Auge
Unsere Pupille reagiert nicht nur auf Licht, sondern auch auf bloß vorgestellte Helligkeit – normalerweise. © UNSW, Amanda Dalbjorn/ Unsplash

Fenster zur Seele: Die Pupillen verraten, wie lebhaft wir Bilder vor unserem inneren Auge visualisieren können. Stellen wir uns helle oder dunkle Objekte vor, verengen oder weiten sich unsere Pupillen – und zwar umso deutlicher, je intensiver wir uns die Objekte vergegenwärtigen. Bei Menschen mit Aphantasie dagegen, denen die visuelle Vorstellungskraft fehlt, verändern sich die Pupillen nur durch tatsächliche Lichtreize, nicht aber durch vorgestellte. Das könnte in Zukunft bei der Diagnostik helfen.

Für die meisten von uns ist es selbstverständlich, Bilder vor unserem inneren Auge zu sehen. Stellen wir uns einen sonnigen Strand vor, sehen wir innerlich das Licht auf dem Wasser glitzern, und wenn wir ein Buch lesen, entsteht die beschriebene Welt in unserem Kopf. Menschen mit Aphantasie dagegen sind auf dem inneren Auge „blind“. Da ihnen die inneren Bilder fehlen, machen ihnen auch gruselig geschilderte Schauergeschichten keine Angst. Schätzungen zufolge sind etwa 400 Millionen Menschen weltweit von Aphantasie betroffen.

Pupillenreflex als Hinweis

Bisher ließ sich eine Aphantasie lediglich anhand der Selbstaussagen Betroffener diagnostizieren. Das machte dieses Phänomen schwer objektiv nachweisbar. Nun hat ein Team um Lachlan Kay von der University of New South Wales in Sydney einen möglichen Ansatzpunkt für einen objektivierbaren diagnostischen Test gefunden: die Lichtreaktion der Pupillen.

„Der Pupillenreflex ist eine Anpassung, mit der die Lichtmenge, die auf die Netzhaut trifft, optimiert wird“, erklärt Kays Kollege Joel Pearson. Bei Dunkelheit erweitern sich unsere Pupillen, damit möglichst viel Restlicht auf die Netzhaut treffen kann. Bei hellem Licht verengen sie sich, um die Netzhaut zu schützen und ein Überstrahlen des Bildes zu verhindern.

Auch imaginäres Licht macht Pupillen eng

Das Interessante daran: Bei den meisten Menschen kann der Pupillenreflex auch durch bloß vorgestellte Helligkeitsunterschiede ausgelöst werden. Das zeigten Kay und seine Kollegen zunächst an 42 Probanden mit normaler visueller Vorstellungskraft. In einem ersten Versuch maßen sie die Pupillenreaktion der Teilnehmenden, während diese helle oder dunkle Formen sahen. Erwartungsgemäß wurden die Pupillen bei hellen Formen kleiner, bei dunklen größer.

Im nächsten Schritt baten die Forschenden ihre Probanden, sich dieselben hellen oder dunklen Formen lediglich vorzustellen und anschließend anzugeben, wie lebendig diese Vorstellung war. Währenddessen maßen Kay und sein Team erneut, inwieweit sich die Pupillengröße veränderte. Das Ergebnis: Auch wenn sich die Testpersonen die jeweiligen Formen nur vorstellten, zeigten ihre Pupillen die entsprechende Lichtreaktion.

Am deutlichsten war die Veränderung bei Probanden, die angaben, sich die Formen besonders lebhaft vorgestellt zu haben. „Dass vorgestellte Objekte sogenannte endogene Veränderungen der Pupillengröße hervorrufen können, war bereits bekannt“, sagt Pearson. „Dennoch waren wir überrascht, dass die Veränderungen bei denjenigen, die über lebhaftere Bilder berichteten, ausgeprägter waren. Dies ist der erste biologische, objektive Test für die Lebendigkeit von Vorstellungen.“

Pupillenreflex als Anzeiger für Aphantasie

Nun führten die Forschenden den gleichen Test mit 18 Personen durch, die selbst angaben, an Aphantasie zu leiden. Bei den tatsächlich gezeigten Bildern war ihr Pupillenreflex normal. Sollten sie sich aber die Formen lediglich vorstellen, veränderte sich die Größe ihrer Pupillen nicht signifikant, egal ob sie versuchten, an eine helle oder an eine dunkle Form zu denken.

„Eines der Probleme vieler bestehender Methoden zur Messung der Vorstellungskraft ist, dass sie subjektiv sind, das heißt sie beruhen darauf, dass die Teilnehmer ihre eigene Vorstellungskraft genau einschätzen“, erklärt Pearson. „Unsere Ergebnisse zeigen eine aufregende neue objektive Methode zur Messung der visuellen Vorstellungskraft und liefern den ersten physiologischen Beweis für Aphantasie.“

Schummeln ausgeschlossen

Um sicherzustellen, dass die Teilnehmer mit Aphantasie nicht schummelten, sondern tatsächlich versuchten, sich die unterschiedlich hellen Formen vorzustellen, führten die Forschenden einen ergänzenden Test durch. Dabei baten sie die Probanden, sich nicht eine, sondern vier Formen vorzustellen. „Es ist bekannt, dass sich unsere Pupillen vergrößern, wenn wir eine schwierigere Aufgabe erledigen“, erklärt Kay. „Sich vier Objekte gleichzeitig vorzustellen, ist schwieriger als sich nur eines vorzustellen.“

Und tatsächlich: Die Pupillen der Teilnehmer mit Aphantasie weiteten sich, wenn sie sich vier Formen statt einer vorstellten – aber sie veränderten sich nicht in Abhängigkeit davon, ob die Formen hell oder dunkel waren. „Dies deutet darauf hin, dass die Teilnehmer mit Aphantasie in diesem Experiment tatsächlich versuchten, sich etwas vorzustellen, nur nicht auf visuelle Weise“, sagt Kay.

Neue Einblicke in die Extreme des Kopfkinos

Nach Ansicht der Forschenden eröffnet diese Methode der objektiven Diagnose neue Möglichkeiten, das Phänomen der inneren Bildwelten und ihre Extreme näher zu erforschen. Denn sowohl das gänzliche Fehlen der visuellen Vorstellung als auch ein überaktives Kopfkino haben weitreichende Auswirkungen auf die Gedanken- und Gefühlswelt. „Wir wissen, dass dies die Erinnerungen beeinflusst, unsere Gefühle beim Lesen oder wie wir uns Dinge im Kurzzeitgedächtnis merken“, sagt Pearson.

In zukünftigen Untersuchungen wollen die Forschenden versuchen, die Methode für mehr Menschen anwendbar zu machen, indem sie ein Online-Tool entwickeln, das beispielsweise per Webcam die Pupillenveränderungen misst. „Wir stehen kurz davor, objektive, zuverlässige Tests für die Stärke der Vorstellungskraft zu entwickeln, darunter für Aphantasie und auch für besonders stark ausgeprägte innere Bilder“, sagt Pearson. „Diese Tests könnten potenziell online durchgeführt werden und so Millionen von Menschen auf der ganzen Welt einbeziehen.“ (eLife, 2022, doi: 10.7554/eLife.72484)

Quelle: University of New South Wales

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