Neurowissenschaften

Unser Gedächtnis für Objekte ist besser als gedacht

Experiment offenbart erstaunlich gutes Erinnerungsvermögen für Objekte und ihre Position

Memory
Wie gut können wir uns für ein Objekt die Position und den Zeitpunkt des Sehens merken? © Elena Gurova/ Getty images

Gut gemerkt: Unser Gedächtnis kann für überraschend viele Objekte abspeichern, wo und wann wir sie gesehen haben. In einem Experiment erinnerten sich Testpersonen bei einem virtuellen Memory-Spiel teils an mehr als 100 Bilder. Dabei konnten sie mit erstaunlicher Treffgenauigkeit sagen, wo auf dem Spielplan das Bild zuvor gezeigt wurde und wann ungefähr sie es schon einmal gesehen hatten. Dies offenbart ein relativ gutes räumliches und zeitliches Massengedächtnis bei uns Menschen.

Unser Gedächtnis ist teils zu erstaunlichen Leistungen im Stande: Selbst ohne spezielle Erinnerungstricks sind wir in der Lage, uns an zahlreiche Geräusche, Gerüche, Bilder und Begebenheiten zu erinnern – selbst wenn wir sie nicht einmal bewusst wahrgenommen haben. Beispielsweise haben zahlreiche Experimente belegt, dass wir recht zuverlässig unterscheiden können, ob wir ein bestimmtes Objekt aus einer großen Anzahl Stimuli schon einmal gesehen haben oder nicht.

Experiment
Im Experiment sahen die Testpersonen sieben Objekte an verschiedenen Positionen eines Rasters. Ein roter Rahmen markierte die Objekte eins nach dem anderen. © Brigham and Women’s Hospital

Massengedächtnis für Raum und Zeit

Eine neue Studie legt nun nahe, dass wir nicht nur gut zwischen bekannt und unbekannt unterscheiden können, sondern auch zusätzliche Informationen abspeichern, darunter wo und wann wir das entsprechende Objekt gesehen haben. Mit anderen Worten: Wir haben ein räumliches und zeitliches Massengedächtnis. Doch wie viel Information kann dieses Gedächtnis speichern und wieder abrufen – und wovon hängt seine Kapazität ab?

Um das herauszufinden, hat ein Team um Jeremy Wolfe vom Brigham & Women’s Hospital in Boston zahlreichen Testpersonen eine große Anzahl verschiedener Bilder gezeigt, die ähnlich wie bei einem Memory-Spiel in einem sieben mal sieben Gitter angeordnet waren. Jedes dargestellte Objekt wurde für jeweils zwei Sekunden durch einen roten Rahmen hervorgehoben, der dann zum nächsten Objekt weiterwanderte. Anschließend wurden alle Bilder ausgeblendet.

Memory-Spiel mit Toleranzrahmen

Nun bekamen die Testpersonen die zuvor gezeigten Bilder nacheinander zu sehen, gemischt mit zuvor nicht gezeigten Objekten. Dabei sollten sie angeben, ob sie das jeweilige Objekt schon einmal gesehen hatten und wenn ja, wo es im Gitter platziert war. In einem weiteren Versuch sollten sie zusätzlich auf einer Zeitleiste markieren, zu welchem Zeitpunkt im Spiel das jeweilige Bild aufgetaucht war.

„In gewisser Weise ähnelt dies dem Spiel Memory, das viele von uns als Kinder gespielt haben, bei dem wir eine Karte umgedreht haben und dann versucht haben, uns an die Position einer passenden Karte zu erinnern, die wir zuvor gesehen hatten“, so Wolfe. „Aber anders als beim Kinderspiel haben wir nicht nur die exakt ‚richtige‘ Antwort gezählt. Wir haben gemessen, wie nahe die Testperson dem zuvor tatsächlich gesehenen Bild kam.“ Auf diese Weise verrieten die falschen Antworten, wie detailliert und eng gefasst das räumliche und zeitliche Massengedächtnis ist.

Hohe Trefferquote

Das Ergebnis: Viele Testpersonen konnten über 100 aus 300 Bildern korrekt wiedererkennen und sie mit einer Genauigkeit von plus/minus einem Feld an der richtigen Stelle des Rasters einordnen. Zudem waren sie bei 60 bis 80 Prozent der Gegenstände in der Lage, sie mit rund zehn Prozent Genauigkeit auch zeitlich einzuordnen. Damit lagen sie deutlich oberhalb der zufälligen Trefferchance von 40 Prozent, wie Wolfe und seine Kollegen erklären.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir uns mit guter, wenn auch nicht perfekter Präzision für eine große Anzahl von Objekten daran erinnern können, wo und wann sie erschienen sind“, sagt Wolfe. „Unser räumliches und zeitliches Gedächtnis für Objekte ist zwar nicht so beeindruckend wie das von Vögeln oder Eichhörnchen, die sich merken müssen, wo sie ihr Futter für den Winter versteckt haben, aber unsere Daten zeigen, dass wir ein enormes Gedächtnis für Objekte haben.“

Große Spannbreite der Gedächtnisleistung

Das Forschungsteam weist allerdings darauf hin, dass die Ergebnisse nur für die getesteten, sehr unterschiedlichen Objekte gelten. Machten sie ähnliche Versuche mit Gesichtern oder verschieden gestalteten Türen, schnitten alle Probanden wesentlich schlechter ab. „Je ähnlicher sich die Stimuli sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie in unserer Erinnerung verwechseln“, erklären die Autoren.

Zudem gab es große Variationen zwischen den einzelnen Testpersonen: Manche lagen mit ihren Einschätzungen sogar öfter daneben, als es bei zufälligem Raten zu erwarten gewesen wäre. Außerdem zeigte sich, dass sich die meisten Probanden besser an Objekte erinnerten, die in der unteren Hälfte des Rasters gezeigt wurden.

Auch unvollständiges Wissen zählt

Was diesen Phänomenen zugrunde liegt und welchen Einfluss weitere Faktoren haben – darunter beispielsweise geschlechtsspezifische Unterschiede – will das Team in zukünftigen Versuchen klären. „Unsere Experimente zeigen, dass der Mensch ein räumliches und zeitliches Massengedächtnis besitzt. Zukünftige Forschungen werden seine Grenzen definieren“, so die Forschenden.

Wichtig dabei ist ihnen, dass bei entsprechenden Messungen nicht nur exakte Treffer gezählt werden. „Das Wissen, dass ein Objekt ungefähr ‚dort drüben‘ ist, ist eindeutig eine echte Erinnerung und oft alles, was in realen Situationen erforderlich ist“, erklären Wolfe und sein Team. „Auch partielles oder unvollständiges Wissen ist immer noch Wissen.“ (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2022.12.040)

Quelle: Brigham and Women’s Hospital

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