Neurowissenschaften

Warum wir bei Stress zu viel essen

Chronischer Stress überschreibt Essbremse im Gehirn und macht Lust auf Süßes und Fettiges

STressessen
Bei Stress entwickeln wir oft einen Heißhunger auf Junkfood und Süßes. © Halfpoint/ Getty images

Jieper auf Süßes und Fettiges: Wenn wir unter Stress stehen, entwickeln wir oft einen Heißhunger auf Süßigkeiten und Junkfood. Warum das so ist, haben Forschende jetzt mithilfe von Mäusen herausgefunden. Demnach blockiert chronischer Stress einen Schaltkreis im Gehirn, der normalerweise als Essbremse wirkt und das Belohnungssystem hemmt. Wenn dieses Stoppsignal fehlt, entwickelt man bei Stress ein übermäßiges Bedürfnis nach belohnendem zucker- und fetthaltigem Essen – und isst trotz Sättigung einfach immer weiter.

Ob durch Arbeit, Familienkonflikte oder andere Probleme: Chronischer Stress gehört heute für viele Menschen zum Alltag. Doch auf Dauer verursacht dies nicht nur psychische Probleme und kann krank machen – Stress macht auch dick. Denn oft löst ständiger Stress einen Heißhunger auf Süßes, Chips oder Junkfood aus, der schwer zu kontrollieren ist. Als Folge nimmt man obendrein auch noch zu – was den Stress und die Unzufriedenheit nur noch verstärkt.

Süßigkeiten
Der Griff nach Süßem beim Arbeiten ist gerade bei Stress verlockend. © Prostock Studio/ Getty images

Doch woher kommt unsere Neigung zum Stressessen? Eine Antwort darauf haben nun Kenny Chi Kin Ip vom Garvan Institute of Medical Research in Sydney und seine Kollegen bei Mäusen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie zunächst untersucht, wie sich das Fressverhalten der Tiere unter chronischem Stress verändert und welche Hirnregionen dabei aktiv werden. Die Mäuse erhielten dabei beliebig viel normales oder hochkalorisches Futter, als Stressfaktor wurden sie jeden zweiten Tag eine Stunde lang in einen Käfig mit kaltem Wasser statt Streu gesetzt.

Heißhunger spezifisch auf Fett und Süßes

Es zeigte sich: Die gestressten Mäuse fraßen deutlich mehr von dem fettreichen Futter als ihre ungestressten Artgenossen – mit entsprechenden Folgen: „Die gestressten Mäuse nahmen doppelt so stark an Gewicht zu wie ungestresste Mäuse mit dem gleichen fettreichen Futter“, berichtet Ip. Ähnliches zeigte sich auch in einem zweiten Test, in dem die Tiere zusätzlich zur fettreichen Kost auch unbegrenzt gesüßtes Wasser statt des normalen Wassers zu sich nehmen konnten. Auch dabei führte Stress zu erhöhtem Konsum.

Interessant jedoch: Bekamen die gestressten Mäuse nur normales, eher mageres Futter, verstärkte sich ihr Appetit weniger. „Das deutet darauf hin, dass Stress nicht einfach nur den Hunger verstärkt, sondern spezifisch die Lust auf süße, gehaltvolle Kost“, erklärt Seniorautor Herbert Herzog vom Garvan Institute. Dieses Verhalten ähnelt auch dem Stressessen bei uns Menschen: Auch wir entwickeln dann eher einen Heißhunger auf Junkfood oder Süßigkeiten.

Neuronales Stoppsignal fällt aus

Aber warum? Das verriet ein Blick in das Gehirn der Tiere. Wie das Team feststellte, spielt ein bestimmtes Hirnareal im Zwischenhirn dafür eine entscheidende Rolle, die sogenannte laterale Habenula. Sie bildet eine schmale Verbindung zwischen dem Thalamus und der Zirbeldrüse. „Die laterale Habenula ist normalerweise daran beteiligt, das Belohnungssystem zu dämpfen und so das Tier vor dem Überessen zu bewahren“, erklärt Ip.

Doch bei den gestressten Mäusen blieb dieses Hirnareal still und das dämpfende Signal blieb aus. Als Folge blieb die vom Belohnungssystem angefachte Gier auf Befriedigung des Süß- und Fetthungers erhalten. „Dies brachte die Mäuse dazu, einfach weiterzuessen und nicht mehr auf die regulatorischen Sättigungssignale zu reagieren“, sagt Ip. Nähere Analysen ergaben, dass dieser Ausfall des natürlichen Stoppsignals eng mit der Ausschüttung des Neuropeptids Y im Gehirn zusammenhängt – einem Botenstoff, der bei Stress von der Amygdala produziert wird. Dockt dieser Botenstoff an der lateralen Habenula an, hemmt dies ihre Aktivität.

Chronischer Stress verkehrt eigentlich gesunde Reaktion

Nach Ansicht der Forschenden demonstriert dies, wie chronischer Stress zum typischen Heißhunger auf ungesundes Essen und zum Zuviel-Essen führt: „Der chronische Stress hemmt die natürliche Reaktion des Gehirns, die die Befriedigung durch das Essen normalerweise abschwächt“, erklärt Herzog. Dadurch bleibt die Esslust erhalten, selbst wenn wir schon längst satt sind. Gleichzeitig bleibt das Belohnungssystem aktiv und damit die Schaltkreise, die uns Lust auf Süßes und Fettiges machen.

Im Prinzip gerät damit eine bei kurzzeitigem akuten Stress durchaus sinnvolle Reaktion außer Kontrolle. „In akut stressigen Situationen brauchen wir oft mehr Energie, daher ist eine zusätzliche Energiezufuhr durch das Essen sinnvoll“, erklärt Herzog. Wenn unsere Vorfahren beispielsweise flüchten oder kämpfen mussten, war es vorteilshaft, die Kalorienvorräte schnell mit gehaltvoller Nahrung wieder aufzufüllen.

Bei chronischem Stress jedoch verkehrt sich diese eigentlich positive Wirkung ins Gegenteil: „Wenn wir über lange Zeiträume unter Stress leiden, verschiebt dies die Balance und die übersteigerte Esslust schadet auf lange Sicht unserm Körper“, so Herzog. „Unsere Forschung unterstreicht damit, wie sehr Stress unseren gesunden Energiestoffwechsel kompromittieren kann.“ Der Forscher empfiehlt daher, gerade in stressigen Zeiten auf eine gesunde Ernährung zu achten – und Süßigkeiten, Chips und Co besser wegzuschließen. (Neuron, 2023; doi: 10.1016/j.neuron.2023.05.010)

Quelle: Garvan Institute of Medical Research

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