Psychologie

Warum wir oft irrtümlich glauben, im Recht zu sein

Experiment deckt "Illusion der adäquaten Informationen" auf

KOnflikt
Trotz unvollständigen Wissens beharren Menschen oft verbissen auf ihrer Ansicht – aber warum? © art-skvortsova/ iStock

Verzerrte Einschätzung: Bei vielen Entscheidungen und Situationen glauben wir, mehr zu wissen als tatsächlich der Fall – wir unterliegen der „Illusion der adäquaten Informationen“, wie nun ein Experiment enthüllt. In diesem fühlten sich Testpersonen gut und vollständig informiert, obwohl sie nur Argumente für eine Seite kannten. Trotzdem waren sie bei ihrem Urteil sogar selbstbewusster als Personen, denen das vollständige Bild vermittelt wurde.

Jeden Tag treffen wir eine Vielzahl von Entscheidungen – teils nach bewusster Abwägung, teils unbewusst, wenn wir über Situationen und andere Menschen urteilen. Dabei gehen wir oft intuitiv davon aus, dass unsere eigene Sicht der Welt objektiv sei. Anderen Menschen, die zu abweichenden Schlussfolgerungen kommen, unterstellen wir hingegen gerne ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit.

Dass auch unser eigenes Gehirn voreingenommen ist, blenden wir dabei oft aus. Zugleich entscheiden wir uns manchmal sogar absichtlich dagegen, mögliche Konsequenzen unserer Handlungen und Urteile zu erfahren – wir wählen die bewusste Unwissenheit.

Ausreichende Faktengrundlage?

Ein Team um Hunter Gehlbach von der John Hopkins University in Baltimore hat nun eine weitere kognitive Verzerrung aufgedeckt: die „Illusion der adäquaten Informationen“. Demnach nehmen Menschen in vielen alltäglichen Entscheidungssituationen an, genügend Fakten zu kennen, um eine informierte Entscheidung zu treffen – ohne sich darüber bewusst zu sein, was sie alles nicht wissen.

„Wir haben festgestellt, dass die Menschen im Allgemeinen nicht darüber nachdenken, ob es vielleicht noch weitere Informationen gibt, die ihnen helfen würden, ein fundierteres Urteil zu fällen“, erklärt Co-Autor Angus Fletcher von der Ohio State University. „Wenn man den Leuten ein paar Informationen gibt, die zusammenzupassen scheinen, werden die meisten sagen: ‚Das hört sich richtig an‘ und sich daran halten.“

Überzeugt von einseitiger Sichtweise

Für ihre Studie teilten die Forschenden 1.261 Testpersonen in drei Gruppen auf, die jeweils entscheiden sollten, ob zwei Schulen in einem fiktiven Szenario zusammengelegt werden sollten oder nicht. Dabei erhielt jeweils eine Gruppe nur Pro- oder nur Contra-Argumente. Die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe und bekam die vollständigen Informationen.

Erwartungsgemäß entschieden sich die meisten Personen aus der Pro-Gruppe für die Zusammenlegung der Schulen, während die Contra-Gruppe mehrheitlich dagegen war. In der Kontrollgruppe sprach sich etwa die Hälfte der Testpersonen für eine Zusammenlegung aus. Zusätzlich zu ihrer Entscheidung sollten alle Teilnehmenden angeben, wie sicher sie sich mit ihrem Urteil waren und inwieweit sie sich gut und umfassend informiert fühlten.

Das Ergebnis: „Diejenigen, die nur über die Hälfte der Informationen verfügten, waren in ihrer Entscheidung für oder gegen eine Zusammenlegung selbstsicherer als diejenigen, die die vollständigen Informationen kannten“, so Fletcher. „Sie waren sich ziemlich sicher, dass ihre Entscheidung die richtige war, auch wenn sie nicht alle Informationen hatten.“

Meinungsänderung durch zusätzliche Informationen

Im zweiten Teil des Experiments legten Gehlbach und seine Kollegen einem Teil der Testpersonen, die zunächst nur die Pro- oder Contra-Argumente gelesen hatten, den jeweils fehlenden Teil der Informationen vor. Einige dieser Probanden waren danach bereit, ihr ursprüngliches Urteil zu revidieren. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu früheren Studien, nach denen Menschen dazu neigen, an einmal getroffenen Entscheidungen festzuhalten und widersprechende Fakten zu ignorieren.

Ein Grund für die Umdenkbereitschaft der Testpersonen liegt wahrscheinlich darin, dass die Zusammenlegung zweier fiktiver Schulen kein ideologisch aufgeheiztes Thema ist. Doch auch das gibt aus Sicht der Forschenden Anlass zur Hoffnung: „Bei den meisten zwischenmenschlichen Konflikten geht es nicht um Ideologie. Es handelt sich lediglich um Missverständnisse im täglichen Leben“, so Fletcher. „Dieses Ergebnis unterstützt die Idee, dass der Austausch von Informationen zu einer Einigung führen kann.“

Gerade in einer polarisierten Welt wichtig

Als Limitation der Studie nennen die Forschenden, dass die Testpersonen im Experiment nicht wissen konnten, dass ihnen Informationen vorenthalten wurden und sie eine einseitige Sichtweise lasen. „Wir vermuten jedoch, dass diese Merkmale unseres Experiments genau dem entsprechen, wie dieses Phänomen in vielen realen Situationen abläuft“, so die Autoren.

„Die Menschen haben häufig keine Möglichkeit zu wissen, inwieweit die Informationen, die sie besitzen, vollständig sind oder wichtige Elemente fehlen. Angesichts der polarisierten politischen und sozialen Medien sind die Menschen zudem regelmäßig extrem unrepräsentativen Querschnitten von Informationen ausgesetzt“, erklären Gehlbach und sein Team.

Auf Basis ihrer Ergebnisse plädieren sie dafür, sich der eigenen Unwissenheit bewusster zu werden. „Auch wenn man nicht weiß, was man nicht weiß, kann es klug sein, davon auszugehen, dass einige wichtige Informationen fehlen“, so die Forschenden. „In einer Welt der ungeheuren Polarisierung und der zweifelhaften Informationen kann uns diese Bescheidenheit – und die damit verbundene Neugier auf die fehlenden Informationen – helfen, die Perspektive anderer besser einzunehmen, bevor wir ein Urteil über sie fällen.“ (PLoS ONE, 2024, doi: 10.1371/journal.pone.0310216)

Quelle: Ohio State University

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