Neurowissenschaften

Was passiert im Gehirn von fanatischen Fans?

MRT-Aufnahmen von Fußballfans offenbaren Hirnaktivität bei Fanatismus

Aktive Hirnareale bei Siegen und Niederlagen im Fußball
Der Kontrast von Gewinnen und Verlieren im „Fan-Gehirn“. Gelbe Areale zeigen die Hirnaktivität bei einem bedeutenden Sieg, blaue Regionen die Aktivität des Mentalisierungssystems bei einer erheblichen Niederlage. © RSNA/Francisco Zamorano Mendieta

Im Kopf von Fanatikern: Bei fanatischen Fußballfans reagiert das Gehirn offenbar anders auf eine Niederlage der Lieblingsmannschaft als bei „normalen“, gemäßigteren Fans, wie Hirnscans enthüllen. Demnach wird im Gehirn der Ultra-Fans verstärkt ein System blockiert, das überschießende Emotionen kontrolliert. Das könnte erklären, warum fanatische Fans oft zu aggressiven Ausbrüchen und Gewalt neigen, so die Forschenden. Sie vermuten, dass ihre Erkenntnisse auch auf Fanatismus in anderen Lebensbereichen übertragbar sind, etwa in der Politik oder Religion.

In der Geschichte des Sports sind Rivalitäten tief verwurzelt. Vor allem Fußballfans in Europa und Südamerika sind für ihre Teamtreue und ihren Enthusiasmus bekannt. Besonders fanatische Anhänger zeigen gegenüber Fans anderer Mannschaften zudem oft extreme Rivalität und Aggression. Doch was steckt auf biologischer Ebene hinter diesem Verhalten?

„Sportfans bieten eine einzigartige Gelegenheit zu analysieren, wie sich intensive Hingabe auf die neuronale Aktivität auswirkt“, sagt Francisco Zamorano Mendieta von der Deutschen Klinik und Universität San Sebastián in Santiago de Chile. Der Sport sei daher ein gutes und zugleich vergleichsweise leicht zu untersuchendes Beispiel für Fanatismus.

Hirnscans chilenischer Erzrivalen

Das Forschungsteam um Zamorano hat das am Beispiel von Fußballfans untersucht. Um Veränderungen im Blutfluss des Gehirns sichtbar zu machen, erstellten die Wissenschaftler funktionelle MRT-Aufnahmen (fMRT) vom Gehirn von 43 männlichen Fußballfans. Diese waren Anhänger der beiden beliebtesten chilenischen Fußballmannschaften, der Teams „Colo-Colo“ und „Universidad de Chile“, die als Erzrivalen gelten. 22 der Versuchsteilnehmer unterstützten das eine Team, 21 Probanden das andere.

Während das Team die Hirnaufnahmen erstellte, schauten alle Studienteilnehmer eine 26-minütige Zusammenstellung von Ausschnitten verschiedener Fußballspiele ihrer beiden Mannschaften mit insgesamt 63 Toren an. Die rivalisierenden Teams traten dabei entweder gegeneinander oder gegen andere Fußballmannschaften an. Zusätzlich ermittelten die Forschenden anhand von Fragebögen und psychologischen Untersuchungen, wie fanatisch die einzelnen Fußball-Anhänger waren. Denn nicht alle Fans sind Fanatiker.

Verschiedene Mechanismen aktiv

Wie zu erwarten zeigten die Hirnscans, dass sich die Gehirnaktivität der Fans veränderte, wenn ihre Mannschaft erfolgreich war oder scheiterte. „Wenn ihr Team gewann, wurde das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert“, berichtet Zamorano. Das löste bei allen Testpersonen Freude aus. Wenn ihre favorisierte Mannschaft hingegen verlor, wurde das sogenannte Mentalisierungs-Netzwerk ihres Gehirns aktiv, welches unsere eigenen psychischen Zustände und die unserer Mitmenschen erkennt und damit das Zusammengehörigkeits- und Mitgefühl reguliert. Das versetzte die Fans in einen Zustand, der ihren Verlustschmerz linderte, erklärt der Forscher.

„Wir beobachteten bei Niederlagen aber auch eine Hemmung des Knotenpunkts (dACC), der im Gehirn der Probanden das limbische System mit dem Frontalkortex verbindet“, berichtet Zamorano weiter. Diese beiden Hirnareale sind unter anderem für die Bewertung und Kontrolle unserer Emotionen zuständig. Durch ihre Blockade wurde bei den Fans der Hirnmechanismus behindert, der die kognitive Kontrolle und damit das eigene Verhalten reguliert, erklärt der Neurowissenschaftler. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, in störendes oder gewalttätiges Verhalten zu verfallen.“

Extreme Bewunderung hemmt die eigene Verhaltenskontrolle

Doch diese beiden unterschiedlichen Hirnreaktionen traten bei den Fußballfans nicht in gleichem Maße auf, stellten die Wissenschaftler fest. Je weniger fanatisch ein Fan war, desto stärker wurde bei Niederlagen sein Mentalisierungssystem im Gehirn aktiviert. Je extremer ein Proband hingegen seine Mannschaft verehrte, desto stärker war der Knotenpunkt dACC in seinem Gehirn gehemmt, wie die Analysen zeigten. Das erklärt, warum fanatische Fans eher zu Gewalt neigen.

Die jeweils beobachteten Hirnaktivitäten der Fans waren in den Experimenten zudem stärker ausgeprägt, wenn die Studienteilnehmer Ausschnitte aus Spielen sahen, in denen die beiden Erzrivalen-Teams direkt gegeneinander antraten, berichtet das Forschungsteam. Bei Spielen gegen andere Mannschaften waren die neuronalen Reaktionen und dadurch ausgelösten Gefühle demnach verhaltener.

Was macht einen Fan zum Fanatiker?

Doch wie wird ein Fan zum Fanatiker und wann zum Hooligan? Den Wissenschaftlern zufolge sind fanatische Fußballfans meist Menschen, denen andere Identitäts-stiftende Bezüge fehlen. Dadurch fokussieren sie sich emotional extrem auf ihre Mannschaft und deren Spielergebnisse. Erst die Lebensumstände eines Menschen, die nichts mit Fußball zu tun haben, entscheiden also, ob ein Fan zum Fanatiker wird.

Ob er aber auch zum unkontrollierten, gewalttätigen Hooligan wird, beeinflussen dann sein Gehirn und seine Umgebung. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine sportliche Frustration wie das Kassieren eines Tores vom Erzrivalen den dACC hemmt“, berichten die Forschenden. „Das macht Fanatiker nicht nur unbeständiger gegenüber Gewalt, sondern auch anfälliger für Einflüsse ihrer Umgebung und für Massenverhalten.“ Mit anderen Worten: Die Gewaltbereitschaft steigt, wenn sich Fans zu stark mit ihrem Team identifizieren und in Gruppen unterwegs sind. Unter den Probanden stuften die Forschenden nur einen als extremen Fan ein.

Besseres Verständnis sozialer Dynamiken

Im Fußball könnten die Erkenntnisse helfen, den Umgang mit seiner Fankultur zu verbessern. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass ihre Erkenntnisse auch auf andere Lebensbereiche übertragbar sind und auch dort relevant sein können. „Das Verständnis der Psychologie der Gruppenidentifikation und des Wettbewerbs kann Aufschluss über Entscheidungsprozesse und soziale Dynamiken geben und zu einem umfassenderen Verständnis der Funktionsweise von Gesellschaften führen“, sagt Zamorano.

„Menschen sehnen sich von Natur aus nach sozialen Kontakten, sei es durch die Teilnahme in einem Laufclub, einer Buchdiskussionsgruppe oder an virtuellen Foren“, erklärt der Forscher. Diese Bindungen basieren auf gemeinsamen Überzeugungen, Werten und Interessen. In den verschiedenen Gruppen könne es aber auch zu „Gruppendenken“ kommen, das zu „unbegründeten Überzeugungen und gesellschaftlicher Zwietracht“ führen könne.

Sport als Beispiel für Fanatismus

Besonders deutlich zu beobachten sei das im Sport. Schwieriger gestaltet sich hingegen die Erforschung politischer und religiöser Dogmatik. „Die Erforschung von Fanatismus und Parteilichkeit erfordert robuste wissenschaftliche Rahmenbedingungen“, erklärt Zamorano. Die politische Haltung, die Wahltreue und die Spiritualität, aber auch Fragen der Identität und ethnischen Zugehörigkeit, seien allerdings häufig kontrovers und widersprüchlich. Dadurch könne nur schwer untersucht werden, ob extremer Loyalität in Politik oder Religion dieselben neurologischen Prozesse zugrunde liegen wie beim Fußball. (109th Scientific Assembly and Annual Meeting of the Radiological Society of North America, 2023)

Quelle: Radiological Society of North America (RSNA)

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