Genetik

Wie das X-Chromosom unser Hirnalter bestimmt

Von der Mutter geerbtes X-Chromosom lässt Hirnzellen schneller schwinden

Illustration eines Chromosoms
In unseren Zellen ist stets nur ein X-Chromosom aktiv. Ob es von der Mutter oder dem Vater stammt, ist jedoch nicht egal. © koya79/iStock

Genlotterie: Für das Gehirn ist es offenbar nicht egal, welches der beiden X-Chromosomen aktiv ist – das vom Vater oder das von der Mutter geerbte. Denn Erinnerungsvermögen und kognitive Fähigkeiten nehmen bei Frauen im Alter schneller ab, wenn in ihren Hirnzellen ausschließlich das mütterliche X-Chromosom aktiv ist, wie Forschende an Mäusen herausgefunden haben. Das könnte auch erklären, warum die Hirne von Männern und Frauen unterschiedlich altern, berichtet das Team in „Nature“.

Frauen haben in ihren Körperzellen jeweils zwei X-Chromosomen – eins von der Mutter und eins vom Vater. Beide Chromosomen enthalten dieselben Gene, jedoch unterschiedliche epigenetische Modifikationen, die diese Gene regulieren und sie an- oder abschalten. Allerdings ist in jeder Zelle von Frauen stets nur eines dieser zwei Geschlechtschromosomen aktiv, das andere wird stillgelegt. Welches abgelesen wird, ist dabei purer Zufall. Bei Männern, die nur ein X-Chromosom haben – von der Mutter –, ist dieses hingegen immer und in allen Zellen aktiv.

Was tun X-Chromosomen in Hirnzellen?

Frühere Studien zu Mutationen und Gendefekten legen nahe, dass das X-Chromosom wichtig für neuronale Funktionen, die Hirngesundheit, das Erinnerungsvermögen und die geistigen Fähigkeiten ist. „Angesichts der Tatsache, dass das X-Chromosom viele hirnbezogene Gene enthält, wollten wir wissen, welche Rolle es bei der Alterung des Gehirns spielt“, sagt Erstautorin Samira Abdulai-Saiku von der University of California in San Francisco (UCSF).

Dafür analysierten sie und ihr Team an Mäusen, ob es für die Hirnzellen einen Unterschied macht, ob darin das mütterliche oder das väterliche X-Chromosom aktiv ist. Die Forschenden züchteten dafür weibliche Mäuse, deren Hirnzellen entweder ausschließlich X-Chromosomen von der Mutter oder eine Mischung von beiden Elternteilen nutzten. Diese Tiere ließen sie dann in unterschiedlichen Altersstufen durch mehrere Labyrinthe laufen, um ihre Hirnleistung und ihr Verhalten zu testen.

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Gedächtniszentrum altert schneller

Die Untersuchungen ergaben: Mäuseweibchen, in deren Gehirn nur mütterliche X-Chromosomen aktiv waren, bauten im Alter stärker geistig ab. Ihre Merk- und Lernfähigkeiten waren schon Zeit ihres Lebens vermindert und schwanden mit dem Alter noch mehr. Grund dafür war, dass diese Neuronen und damit auch der Hippocampus dieser Tiere schneller alterte, wie Abdulai-Saiku und ihre Kollegen feststellten. Dieses Hirnareal ist wichtig für das Gedächtnis und das Lernen.

„Wir haben gezeigt, dass die Gehirne dieser Tiere wirklich schneller alterten als die Gehirne ihrer genetisch identischen Schwestern, bei denen sowohl die X-Chromosomen von Mama als auch von Papa eingeschaltet waren“, erklärt Seniorautorin Dena Dubal von der UCSF. Aber warum ist das so?

Gene auf den X-Chromosomen sind unterschiedlich aktiv

Weitere Analysen der Gehirnzellen enthüllten, dass neun bestimmte Gene auf den von der Mutter geerbten X-Chromosomen vollständig stillgelegt waren, nicht aber auf den väterlichen Pendants. Schalteten die Forschenden drei dieser stillgelegten Gene mittels Gentechnik wieder an, zeigten die Mäuseweibchen im Alter bessere Merk- und Lernfähigkeiten.

„Zusammengenommen deuteten all diese Experimente darauf hin, dass der elterliche Ursprung eines X-Chromosoms einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Gehirns haben kann“, sagt Abdulai-Saiku. „Diese Ergebnisse werfen die Möglichkeit auf, dass einige Frauen, die rein zufällig in mehr Zellen das X-Chromosom ihrer Mutter exprimieren, mit zunehmendem Alter mehr kognitive Beeinträchtigungen oder ein erhöhtes Risiko für Krankheiten wie Alzheimer-Demenz haben“, erklärt Dubal.

Mögliche Ursache auch für Mann-Frau-Unterschiede?

Die Erkenntnisse könnten auch erklären, warum die Hirne von Männern und Frauen unterschiedlich altern, da bei Männern das mütterliche X-Chromosom immer abgelesen wird. Wie genau sich dies bei Männern in Kombination mit dem Y-Chromosom auswirkt, muss jedoch noch weiter erforscht werden. „Das Wissen könnte uns letztendlich helfen, Strategien zu finden, um die Gehirnalterung bei beiden Geschlechtern zu verlangsamen.“ Folgestudien mit menschlichen Zellen sollen dafür nun klären, ob sich die Alterungseffekte des mütterlichen X-Chromosoms umkehren lassen.

Warum die identifizierten Gene auf den mütterlichen X-Chromosomen stillgelegt sind, haben die Forschenden nicht untersucht. Sie vermuten aber, dass dieser Umstand zwar offenbar im Alter von Nachteil ist, zu Beginn des Lebens jedoch einen Vorteil darstellen könnte. „Es kann sein, dass dieses Genexpressionsmuster tatsächlich sehr vorteilhaft für die Entwicklung des Gehirns ist, aber später im Leben diesen Kompromiss erfordert“, spekuliert Dubal. (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-024-08457-y)

Quelle: University of California – San Francisco

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