Psychologie

Wie Eltern das Denkvermögen ihrer Kinder prägen

Studie weist erstmals Einfluss der elterlichen Einstellungen nach

Vater und Tochter sprechen über eine Aufgabe
Eltern prägen das wissenschaftliche Denken von Kindern nachhaltiger als gedacht. © AdobeStock_364239391

Prägende Denkmuster: Die Eltern beeinflussen das wissenschaftliche Denkvermögen ihrer Kinder stärker als gedacht, wie Entwicklungspsychologen herausgefunden haben. Der Einfluss des Elternhauses liegt dabei nicht primär in der Intelligenz oder Kompetenz der Erziehungsberechtigten, sondern allein in ihrer Einstellung gegenüber Wissen und Bildung. Die Förderung des wissenschaftlichen Denkens von Kindern sollte demnach nicht länger ausschließlich den Schulen zugeschrieben werden. Vielmehr sollten auch Eltern ihre Einstellung überdenken und ihre Kinder aktiv fördern.

Wenn Kinder experimentieren, Daten sammeln und interpretieren oder wissenschaftliche Phänomene ergründen, lernen sie schon im Kindergarten und der Grundschule spielerisch eine rationale, zielführende Herangehensweise an Probleme und Forschungsfragen. Diese Kompetenz und Sichtweise, das wissenschaftliche Denken, wird in unserer Gesellschaft mit ihren vielfältigen globalen Herausforderungen immer wichtiger. Denn viele Probleme erfordern ein systematisches und logisches Vorgehen, um Hypothesen zu formulieren, diese zu testen und aus den Beweisen Schlussfolgerungen zu ziehen.

„Während manche Kinder allerdings schon früh geschickt darin sind, sinnvolle Experimente durchzuführen, Muster in Daten zu deuten oder wissenschaftliche Fragen zu erkennen, offenbaren andere Kinder ein begrenztes Verständnis in diesen Bereichen“, sagt Christopher Osterhaus von der Universität Vechta. Obwohl alle Kinder zur Schule gehen und die Förderung des wissenschaftlichen Denkens vor allem den Schulen zugeschrieben wird, entwickeln Kinder nicht im selben Maße wissenschaftliche Kompetenzen.

Welche Rolle spielen die Eltern?

Warum das so ist und ob das Elternhaus dabei eine Rolle spielt, hat Osterhaus nun zusammen Susanne Koerber von der Pädagogische Hochschule Freiburg analysiert. Über fünf Jahre hinweg untersuchten die Entwicklungspsychologen dazu insgesamt 161 Grundschulkinder aus Deutschland im Alter von fünf bis zehn Jahren. Dabei testeten die Forschenden die Kinder jährlich auf ihre wissenschaftlichen Denkfähigkeiten sowie ihre Sprachkompetenz und Intelligenz und verglichen die Entwicklung der Kinder.

Gleichzeitig erfassten Osterhaus und seine Kollegen Merkmale der Familien, wie das Bildungsniveau der Erziehungsberechtigten und ihren sozioökonomischen Status. Außerdem befragten sie die Eltern zu ihren Überzeugungen und Einstellungen in Bezug auf Wissen – was sie beispielsweise von Wissenschaft halten, wie Wissenschaftler vorgehen und was ein Mensch ihrer Meinung nach überhaupt wissen kann.

Auf die Einstellung kommt es an

Die Analyse ergab, dass die Wissens-Vorstellungen der Eltern sich langfristig darauf auswirken, wie gut ihre Kinder wissenschaftlich denken können. „Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Kinder aus Familien mit weiter fortgeschrittenen erkenntnistheoretischen Ansichten während der gesamten Grundschulzeit bessere Leistungen erbringen als ihre Altersgenossen“, schreiben die Psychologen.

Die elterlichen Überzeugungen hatten sogar dann noch einen Einfluss, wenn die Bildung der Eltern und die generellen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten der Kinder berücksichtigt wurden. Es kommt demnach nicht auf den Wissensschatz und die Intelligenz der Eltern und Kinder an, sondern vor allem auf deren Einstellung gegenüber Wissen, wie das Team ermittelte.

„Was uns wirklich überrascht hat, war die langanhaltende Wirkung der elterlichen Einstellungen“, sagt Osterhaus. „Kinder, deren Eltern ein Verständnis davon hatten, dass sich Wissen ändern kann und dass es abhängig ist von sozialen und kulturellen Bedingungen, waren nicht nur vor Eintritt in die Schule besser, sondern zeigten über den gesamten Zeitraum der Studie eine bessere Entwicklung beim wissenschaftlichen Denken im Vergleich zu ihren Altersgenossen aus Familien mit weniger unterstützenden Einstellungen.“

Eltern haben größeren Einfluss als Schule

Die Psychologen schließen aus dieser Beobachtung, dass die Schule nicht in dem Maße ausgleichend zum Elternhaus wirkt, wie allgemein angenommen wird. „Die Effekte der elterlichen Einstellungen auf das wissenschaftliche Denken der Kinder werden durch schulische Einflüsse nicht vollständig ausgeglichen“, so Osterhaus.

Wie die Eltern ihre Einstellungen zu Wissen und Wissenschaft an ihre Kinder weitergeben, wurde in der Studie allerdings nicht untersucht. Die Psychologen nehmen aber an, dass Kinder diese Haltung unbewusst, beispielsweise über Gespräche im Alltag, vermittelt bekommen.

Aktive Förderung könnte Kinder noch weiterbringen

Diese Erkenntnisse könnten nun Eltern und Erziehungsberechtigten helfen, die wissenschaftliche Bildung ihrer Kinder noch besser zu fördern. Ein unterstützendes Umfeld könnte Kinder neben der Schule auch zu Hause ermutigen, offene Fragen und ihnen neue Phänomene zu erkunden, und somit die wissenschaftlichen Denkfähigkeiten der Kinder erheblich stärken, so die Psychologen. Je bewusster sich Eltern und Betreuende ihres Einflusses seien, desto besser könnten sie aktiv zur Entwicklung ihres Kindes beitragen.

„Wir möchten mit unserer Forschung Gespräche über den Wert eines unterstützenden Umfelds für die forschende Haltung von Kindern zu Hause anregen“, so Osterhaus. „Dieser Dialog kann Eltern dazu befähigen, eine aktivere Rolle bei der Förderung der Neugier, des kritischen Denkens und der Problemlösungsfähigkeiten ihrer Kinder zu spielen – was letztendlich eine solide Grundlage für lebenslanges Lernen und Erfolg im 21. Jahrhundert schafft.“

Folgestudie in Japan geplant

Langfristiges Ziel der Forschenden ist es, mit ihren Erkenntnissen Bildungspraktiken und Förderprogramme so zu optimieren, dass sie die wissenschaftlichen Denkfähigkeiten von Kindern stärken. Um herauszufinden, ob ähnliche Ergebnisse wie in Deutschland auch in anderen kulturellen Umgebungen auftreten, planen Osterhaus und seine Kollegen eine Folgestudie mit Grundschulkindern aus Japan. (Developmental Science, 2024; doi: 10.1111/desc.13474)

Quelle: Universität Vechta

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