Neurowissenschaften

Wie Muttersprache unsere Musik-Fähigkeiten beeinflusst

Rhythmusgefühl und melodisches Gehör hängen von der Art der Muttersprache ab

Sprache
Unsere Muttersprache beeinflusst auch unsere musikalischen Fähigkeiten. © peterschreiber.media/ Getty images

Auf die Sprache kommt es an: Ob wir den richtigen Ton treffen oder den Takt halten können, hängt überraschend stark von unserer Muttersprache ab, wie eine weltweite Studie bestätigt. Demnach fördern nicht-tonale Sprachen wie das Deutsche oder Englische ein gutes Rhythmusgefühl. Tonale Sprachen wie Chinesisch und Yoruba bringen dagegen ein gutes Gehör für Tonhöhen und Melodien mit sich. Der Effekt der Muttersprache ist dabei ebenso groß wie der einer musikalischen Ausbildung, wie Forschende in „Current Biology“ berichten.

Unsere Muttersprache prägt uns vom Mutterleib an: Schon im letzten Schwangerschaftsdrittel hört das Ungeborene die charakteristische Sprachemelodie seiner Mutter, als Neugeborenes spiegeln seine Schreie dann diese typischen Muster wider. Dabei ist auch erkennbar, ob das Kind in eine Familie mit tonaler oder nicht-tonaler Sprache hineingeboren wurde.

Sprachen
Übersicht über tonale und nicht-tonale Sprachen. Als pitch-accented (Tonakzent) werden Sprachen bezeichnet, bei denen Wortsilben nicht nur durch Lautstärke, sondern auch durch Tonhöhe betont werden. Sie bilden eine Zwischenform. © Liu und Hilton

Bei nicht-tonalen Sprachen wie dem Deutschen ist die Bedeutung der Wörter unabhängig von ihrer Betonung – wir verstehen das Wort „Mutter“, egal ob es hoch, tief, mit auf- oder absteigender Tonhöhe gesprochen wird. Anders ist dies bei einigen asiatischen und afrikanischen Sprachen: Bei ihnen verändert sich je nach Aussprache die Bedeutung der Wörter. Im chinesischen Mandarin kann „ma“ je nach Wortmelodie beispielsweise Mutter oder Pferd bedeuten.

Prägt Sprache unseren Sinn für Musik?

Schon länger vermuten Wissenschaftler, dass diese von frühester Kindheit eingeübten Sprachmuster auch unseren Sinn für Musik beeinflussen. „Die lebenslange Erfahrung im Sprechen und Hören von Sprache könnte unsere akustische Wahrnehmung auf eine Weise prägen, die auch auf andere Bereiche wie die Musik übertragen wird“, erklären Jingxuan Liu von der Columbia University in New York und ihre Kollegen. Tatsächlich lieferten einige Studien Hinweise darauf, dass eine tonale Muttersprache den Sinn für Melodien stärken.

Das Problem jedoch: „Diese Studien verglichen immer nur zwei Sprachen miteinander, meist Englisch mit Mandarin oder kantonesisch“, erklärt Liu. Aber bei Testpersonen aus so unterschiedlichen Kulturkreisen spielen neben der Sprache auch viele andere Einflussfaktoren eine Rolle. „Wenn man nur zwei solcher Gruppen vergleicht, ist es daher sehr schwer, diese kulturellen Einflüsse von den sprachlichen zu trennen“, so Liu. Hinzu kommt, dass andere Studien keinen Zusammenhang von Sprachart und melodischem Gehör finden konnten.

Hörtests für rund 500.000 Menschen

Deshalb haben Liu und ihr Team diesen möglichen Zusammenhang noch einmal genauer untersucht und ihn um eine weitere Fragestellung ergänzt: Sie wollten auch wissen, inwieweit die Muttersprache das Rhythmusgefühl beeinflusst. Dafür verglichen sie mithilfe einer Online-Studie die musikalischen Fähigkeiten von rund 500.000 Menschen in 203 Ländern. Unter den 54 von diesen Testpersonen gesprochenen Muttersprachen waren 19 tonale und 29 nicht-tonale Sprachen.

Alle Testpersonen erhielten drei Typen von Höraufgaben in jeweils unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden: Sie sollten erkennen, ob sich zwei sehr ähnliche Melodien unterscheiden, ob ein Beat im Takt zum Lied spielt und ob eine Stimme in der richtigen Tonhöhe zur Begleitung singt.

Tonale Sprachen erkennen Melodien besser

Das Ergebnis: Menschen mit einer tonalen Muttersprache scheinen tatsächlich ein besser ausgeprägtes melodisches Gehör zu haben. „Die Muttersprachler unserer 19 tonalen Sprachen waren besser darin, zwischen den ähnlichen Melodien zu unterscheiden“, berichtet Liu. Sie schnitten bei diesen Tests durchschnittlich um rund 22 Prozent besser ab als Menschen mit nicht-tonaler Muttersprache. Diese Unterschiede waren zudem unabhängig von Kulturkreis, Bildung oder anderen Faktoren.

Überraschend waren dagegen die Resultate der beiden anderen Tests. Anders als erwartet brachten die tonalen Sprachen keine Vorteile beim Hören „schiefer“ Töne einer Singstimme. Dies widerspricht der Annahme, dass die Tonhöhen-Modulationen beispielsweise im Chinesischen auch das Gehör in Bezug auf die richtige Tonhöhe und damit Frequenz schulen. „In Bezug auf diese Fähigkeit scheinen tonale Sprachen nur minimalen bis keinen Einfluss zu haben“, so die Forschenden.

Defizite im Taktgefühl

Die zweite Überraschung: Der Vorteil der tonalen Sprachen beim melodischen Gehör wird durch Nachteile beim Rhythmusgefühl erkauft. „Testpersonen mit tonalen Sprachen schnitten bei den Rhythmustests deutlich schlechter ab als Muttersprachler nicht-tonaler Sprache“, berichten Liu und ihr Team. Der Unterschied lag auch hier bei rund 22 Prozent und war damit ziemlich deutlich. Auch hierbei spielten Kulturkreis und andere Einflussfaktoren nur eine geringe Rolle.

Warum Menschen mit tonaler Sprache ein schlechteres Taktgefühl haben als beispielsweise Deutsch oder Englisch sprechende Menschen ist noch nicht vollständig geklärt. Die Wissenschaftler vermuten aber, dass dies auf unterschiedliche Prioritäten bei der Sprachwahrnehmung zurückgeht: Weil der Rhythmus für die tonalen Sprachen weniger wichtig ist als die Tonhöhe, wird dieser weniger beachtet. Dadurch ist auch das Gehirn weniger gut auf darauf trainiert.

Enge Wechselwirkung

Zusammengenommen stützen diese Ergebnisse die Vermutung, dass unsere Muttersprache auch allgemeine Aspekte unserer akustischen Wahrnehmung prägt. Je nach Muttersprache verdanken wir ihr ein gutes melodisches Gehör oder ein gutes Taktgefühl – zumindest im Durchschnitt. Das heißt nicht, dass es nicht auch unter Deutschsprachigen völlig „taktblinde“ Menschen gibt oder Menschen mit nahezu perfektem Melodiegehör. Zudem kann musikalisches Training einige Defizite ausgleichen.

Wie genau die Spracherfahrungen unsere Wahrnehmung prägen und welche neuronalen Mechanismen dahinter stehen, ist noch offen. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, wie Liu und ihre Kollegen betonen. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.03.067)

Quelle: Cell Press

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