Doppelte Gedankenstütze: Wenn wir mehrere Sprachen sprechen, kann dies auch unserem visuellen Gedächtnis auf die Sprünge helfen, wie eine Studie zeigt. In ihr konnten zweisprachige Testpersonen zuvor gesehene Objekte besser wiedererkennen als Menschen ohne zusätzliche Sprachkenntnisse. Der Grund dafür: Die Mehrsprachigkeit ermöglicht es unserem Gehirn, zusätzliche Verknüpfungen zwischen Sprache und visuellen Eindrücken zu bilden. Dies fördert die Aufmerksamkeit und das spätere Erinnern.
Unsere Muttersprache und die Sprachen, die wir im Laufe unseres Lebens lernen, beeinflussen, wie wir die Welt sehen. Je nach Sprache schätzen wir Zeitdauern unterschiedlich ein und sind unterschiedlich gut darin, Rhythmen zu halten oder Töne zu treffen. Wer mehrere Sprachen spricht und regelmäßig zwischen ihnen wechselt, trainiert zudem sein Gehirn und kann irrelevante Informationen besser ausblenden.
Akustische Ähnlichkeit
Ein Team um Matias Fernandez-Duque von der Northwestern University in Evanston in Illinois hat nun einen weiteren Vorteil der Mehrsprachigkeit festgestellt: Wenn wir Gegenstände in mehreren Sprachen benennen können, fällt es uns leichter, Verknüpfungen zwischen Bild und Begriff zu bilden und uns später daran zu erinnern.
„Wenn wir ein Wort hören, aktiviert unser Gehirn auch ähnlich klingende Wörter“, erklärt das Forschungsteam. „Wir haben mit einer visuellen Suchaufgabe getestet, ob diese linguistische Ko-Aktivierung auch das Gedächtnis für Objekte beeinflusst.“ An der Studie nahmen 42 Personen teil, die ausschließlich Englisch sprachen, sowie 84 Menschen, die zusätzlich Spanisch auf hohem oder niedrigem Niveau beherrschten.
Erinnerungshilfe auf Englisch und Spanisch
Die Forschenden baten die Testpersonen zunächst, aus einer Auswahl von vier Bildern das Objekt herauszusuchen, dessen Bezeichnung sie auf Englisch hörten. Der Trick dabei: Die Bezeichnung jeweils eines weiteren Objekts klang auf Englisch oder Spanisch ähnlich. War das Zielobjekt beispielsweise eine Kerze (candle), zeigten weitere Bilder Süßigkeiten (candy) und ein Vorhängeschloss (spanisch: candado).
Anschließend sollten die Testpersonen für verschiedene Bilder angeben, ob sie diese schon einmal gesehen hatten. „Alle Probanden erinnerten sich besser an Objekte, deren Bezeichnung ähnlich klingt wie die eines der vorherigen Zielobjekte“, berichtet das Team. Englischsprachige erinnerten sich also beispielsweise daran, die Süßigkeiten schon einmal gesehen zu haben, konnten aber mit dem Vorhängeschloss nichts verbinden. Wer zusätzlich spanisch sprach, erinnerte sich auch an das Vorhängeschloss.
Sprache lenkt die Aufmerksamkeit
Aus Sicht der Forschenden belegt dieses Ergebnis, dass sprachliche Konzepte unsere Aufmerksamkeit lenken und damit auch beeinflussen, woran wir uns später erinnern. Untermauert wird das durch Beobachtungen der Augenbewegungen der Probanden: Bei der Suchaufgabe richteten sie ihren Blick auch auf die Objekte mit jeweils ähnlich klingender Bezeichnung, nicht aber auf Objekte ohne eine sprachliche Beziehung zum gesuchten Gegenstand.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Spracherfahrungen nicht nur die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen ihre aktuelle Umgebung wahrnehmen, sondern auch das, woran sie sich langfristig erinnern“, schreibt das Autorenteam. „Dies könnte teilweise erklären, warum sich verschiedene Menschen an ein und dasselbe Ereignis unterschiedlich erinnern, und zeigt, wie sich sprachliche Diversität auf höhere kognitive Funktionen wie das Gedächtnis auswirken kann.“
Gerade in sprachlich vielfältigen Gemeinschaften kann es den Forschenden zufolge relevant sein, die Erkenntnisse in die rechtliche, pädagogische und klinische Praxis einzubeziehen – etwa, wenn es darum geht, Augenzeugenberichte einzuordnen, Lernenden Gedankenstützen zu bauen oder Menschen mit Gedächtnisverlust wieder auf die Sprünge zu helfen. (Science Advances, 2023, doi: 10.1126/sciadv.adh0064)
Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)