Sonderrolle oder nicht? Die Null hat einen besonderen Stellenwert in Zahlenraum – aber wie ist das für unser Gehirn? Welche Neuronen die Zahl Null verarbeiten und ob sie dies anders tun als bei anderen Zahlen, haben Forschende nun untersucht. Dabei zeigte sich: Es gibt spezielle Neuronen, die leere Mengen oder die Ziffer Null verarbeiten. Allerdings scheint die Null trotzdem in den mentalen Zahlenstrang integriert zu sein, wie das Team in „Current Biology“ berichtet. Was aber bedeutet dies konkret?
Sie kennzeichnet eine Leere, das Fehlen von Etwas, ist aber gleichzeitig eine Zahl: Die „Null“ hat im Zahlenraum eine Sonderstellung – und ist auch historisch gesehen ein „Nachzügler“: Zwar nutzten indische Mathematiker schon vor rund 1.700 Jahren erstmals ein eigenes Symbol für die Null und auch die Babylonier hatten dafür ein Symbol. Aber weder die Griechen und Römer noch die antiken Chinesen kannten eine Null. Erst im siebten Jahrhundert hatte die Null einen festen Platz im westlichen Zahlensystem.
Ähnliches zeigt sich in der Entwicklung von Kindern: „Sie verstehen die Null als kleinste Zahl unter den positiven Zahlen typischerweise erst mit rund sechs Jahren – lange nachdem sie zu zählen gelernt haben“, erklären Esther Kutter von der Universität Bonn und ihre Kollegen. Und selbst im Erwachsenenalter scheint unser Gehirn mit dem Konzept der Null mehr Mühe zu haben als mit anderen Zahlen, wie längere Reaktionszeiten und höhere Fehlerraten in Tests nahelegen.
Blick bis aufs einzelne Neuron
Doch wie erkennt und verarbeitet unser Gehirn die Null? Bekannt ist, dass es spezielle Hirnreale für Zahlen sowie für das Addieren und Subtrahieren gibt. Studien an Rhesusaffen legen zudem nahe, dass das Gehirn leere Mengen in einem zweischrittigen Prozess verarbeitet. Doch welche Neuronen bei der Zahl Null aktiv werden, war bisher unbekannt. Deshalb haben Kutter und ihr Team dies nun erstmals mithilfe der Einzelneuronen-Analyse untersucht.
Möglich wurde das Experiment, weil einigen Patienten vor neurochirurgischen Operationen haarfeine Elektroden ins Gehirn implantiert werden. Sie sollen normalerweise Anfallsherde bei Epilepsie erkennen oder anderen Anomalien. In diesem Fall halfen die abgeleiteten Signale der in den Schläfenlappen sitzenden Elektroden aber dabei, dem Gehirn bei der Arbeit zuzusehen. Das Team zeigte den Testpersonen dafür verschiedene Punktmengen oder Ziffern zwischen null und neun und beobachtete, welche Neuronen jeweils feuerten.
Eigene Hirnzellen für die Null
Es zeigte sich: Je nach Zahlenwert oder Menge feuerten jeweils andere Neuronengruppen im Schläfenlappen der Patienten. Auch die Taktrate der Aktivierung unterschied sich je nach Menge der gezeigten Punkte. „Dabei fanden wir auch Neuronen, die spezifisch nur bei der leeren Menge feuerten“, berichten Kutter und ihr Team. „Dies zeigt, dass die Neuronen nicht nur auf zählbare Anzahlen reagieren, sondern auch auf das Fehlen von zählbaren Objekten.“
Dabei ist jedoch nicht egal, ob wir die Zahl „Null“ als arabische Ziffer oder als Menge sehen, wie die Experimente enthüllten. Stattdessen werden symbolische Repräsentation und Menge offenbar von jeweils eigenen Hirnzellen verarbeitet. „Die Neuronen reagierten entweder auf die arabische Ziffer Null oder die leere Menge, nicht jedoch auf beides“, berichtet Kutter. Es scheint demnach im Schläfenlappen keine formatunabhängigen „Null-Detektoren“ zu geben.
Trotzdem Teil des Zahlenstrangs
Das Entscheidende jedoch: Als die Forschenden die Aktivierungsmuster genauer untersuchten, zeigte sich ein sogenannter Abstandseffekt: Wenn zwei Mengen oder Zahlen direkt benachbart sind, beispielsweise drei und vier, kommt es zu neuronalen Überlappungen. Dabei feuert ein Teil der eigentlich für die eine Zahl zuständigen Neuronen bei der Nachbarzahl mit. Wie sich zeigte, tritt dieser Abstandseffekt nicht nur bei normalen Zahlen auf, sondern auch bei der Null – unabhängig davon, ob die Null als Ziffer oder Menge gezeigt wird.
Daraus schließen die Forschenden, dass das Konzept der Null in unserem Gehirn keine eigene, vom restlichen Zahlenraum isolierte Einheit darstellt, wie teilweise vermutet. Stattdessen wird die Null offenbar mit in den Zahlenstrang einsortiert – sie bildet sein unteres Ende. Diese Eingliederung der Null erfolgt sowohl bei Punktmengen als auch bei Ziffern als symbolischen Repräsentationen dieser Mengen, wie das Team feststellte.
Symbol gleicht Unterschiede aus
Allerdings: So ganz „normal“ ist die Null für unser Gehirn trotzdem nicht. „Die Reaktion auf die leere Menge stach heraus, weil dabei signifikant höhere Fehlerraten und längere Reaktionszeiten auftraten“, berichten Kutter und ihre Kollegen. „Das legt nahe, dass die Null in Form leerer Mengen dennoch einen speziellen Status im mentalen Zahlenstrahl hat.“ Beim Anblick der Ziffer Null traten diese Auffälligkeiten interessanterweise aber nicht auf.
Das bedeutet, dass es unserem Gehirn leichter fällt, die Ziffer Null zu verarbeiten als das, wofür sie steht – eine leere Menge. Offenbar verwischen die abstrakten Zahlensymbole die fundamentalen Unterschiede zwischen dem Etwas und dem Nichts. „Die symbolische Repräsentation kann die Außenseiterrolle der Zahl Null offenbar ausgleichen“, erklären Kutter und ihr Team. (Current Biology, 2024; doi: 10.1016/j.cub.2024.08.041)
Quelle: Universitätsklinikum Bonn