Waschgang fürs Gehirn: Neurowissenschaftler haben erstmals nachgewiesen, dass auch die kleinen Blutgefäße in unserem Gehirninneren pulsieren. Sie pumpen so schubweise Blut durch unser Denkorgan – unabhängig vom Herzschlag und der Hirnaktivität. Diese erst jetzt bei den Hirn-Arteriolen nachgewiesen „Wanderwellen“ fördern zum einen die Blutversorgung des Gehirns. Zudem könnten sie dabei helfen, das umliegende Hirnwasser zu durchmischen und Abfallstoffen besser zu entsorgen, wie das Team in „Neuron“ berichtet.
Mit dem Blutkreislauf werden Sauerstoff und Nährstoffe zu jeder einzelnen Zelle in unserem Körper transportiert und gleichzeitig Abfallstoffe entsorgt. Das gilt auch für unser Gehirn, das wegen seines großen Sauerstoff- und Nährstoffbedarfs besonders gut durchblutet ist. Das frische Blut gelangt dabei über die großen Hirnarterien zunächst in kleinere Blutgefäße, die sogenannten Piagefäße, die die Oberfläche des Gehirns umspannen. Von dort aus zweigen wiederum noch kleinere Arteriolen ins Innere des Gehirns ab.
Arteriolen erzeugen wellenförmige Pumpbewegungen
Ein Forschungsteam um Thomas Broggini von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main hat nun entdeckt, dass der Blutfluss in den Arteriolen des Gehirns nicht nur vom Herzschlag angetrieben wird, sondern auch von eigenständigen Pumpbewegungen der Blutgefäße. Bei dieser sogenannten Vasomotion handelt es sich um wellenartige Bewegungen der Gefäßwände, die durch abwechselnde Kontraktion und Entspannung der glatten Muskelzellen in den Wänden zustande kommen.
Diese Schwingungen treten unabhängig vom Herzschlag periodisch einmal alle zehn Sekunden auf (0,1 Hz) und sorgen für einen wellenförmigen Blutfluss. Zuvor wurden solche Pumpbewegungen schon bei den Arterien verschiedener Organe von Säugetieren beobachtet und auch in den größeren Piagefäßen des Gehirns. Jetzt haben Broggini und sein Team diese Oszillationen erstmals auch bei den feinen Arteriolen des Gehirns nachgewiesen. Entdeckt haben sie diese mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) des Gehirns von Mäusen.
Wozu dienen die „Wanderwellen“?
Die neu entdeckte Vasomotion generiert den Analysen zufolge lange „Wanderwellen“ entlang aller Hirn-Arteriolen, die sich mit der eher langsamen Geschwindigkeit von zwei Millimetern pro Sekunde im Denkorgan ausbreiten. Diese Wellen verbessern den Blutfluss in den Hirn-Adern um 20 Prozent, wie Messungen ergaben. Der Effekt war im Ruhezustand zudem ausgeprägter als in aktiven Hirnbereichen. „Dies zeigt, dass die Vasomotion die Durchblutung des Gehirns unabhängig von neurologischen Signalen tiefgreifend beeinflusst“, so Broggini.
Die Forschenden vermuten zudem, dass die wellenförmigen Bewegungen der Hirngefäße nicht nur für Turbulenzen und Verwirbelungen im Blut sorgen. Sie könnten auch dabei helfen, das Hirnwasser, das alle Hirnzellen umspült, zu durchmischen. Da sich die Gefäßwellen allerdings in alle Richtungen ausbreiten und teils überlagern, können sie keinen zielgerichteten Transport von Nähr- oder Abfallstoffen im Hirnwasser oder Blut ermöglichen.
Doch wie Broggini und sein Team herausgefunden haben, erzeugt die Vasomotion vorübergehend kleine Ausbuchtungen auf den Hirn-Adern, die sich ebenfalls wellenförmig ausbreiten. „Dies könnte den Abtransport von fehlgefalteten Proteinen und Abfallstoffen über das Hirnwasser verbessern“, erklärt Broggini. Die genaue Funktion der Vasomotion in den Arteriolen bleibt jedoch unklar.
Zusammenhänge mit Krankheiten?
Die Erkenntnisse könnten künftig helfen, die in fMRT-Scans sichtbare Durchblutung des Gehirns besser zu verstehen, und damit die Diagnose verschiedener Krankheiten erleichtern. Darüber hinaus wollen die Forschenden mit dem neuen Wissen nun untersuchen, ob und wie die Vasomotion Krankheiten beeinflusst, bei denen die Blutversorgung oder der Abtransport von Abfallstoffen im Gehirn gestört ist – etwa bei Alzheimer.
„In weiterführenden Arbeiten hier in Frankfurt werden wir zukünftig untersuchen, wie die Wanderwellen bei Schlaganfällen, Hirnblutungen und neurodegenerativen Erkrankungen verändert sind und welchen Einfluss sie auf die Entstehung der Krankheiten haben“, so Broggini. Neue Therapien könnten dann künftig die Vasomotion im Gehirn modulieren, um die Blutversorgung in den betroffenen Hirnregionen zu verbessern. (Neuron, 2024; doi: 10.1016/j.neuron.2024.04.034)
Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main