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Neurowissenschaften

Wir speichern Erinnerungen in drei Kopien

Gedächtniskopien unterscheiden sich in Haltbarkeit, Zugänglichkeit und Veränderbarkeit

Gedächtnis
Unser Gehirn legt mehrere Kopien eines Gedächtnisinhalts an. Diese sind unterschiedlich gut haltbar und abrufbar. © metamorworks/ iStock

Neuronales Backup: Unser Gehirn speichert Erinnerungen in mindestens drei Kopien, wie eine Studie enthüllt. Der Clou dabei: Diese Erinnerungskopien sind unterschiedlich gut haltbar und zugänglich. Eine dient eher als Sicherheitskopie und ist anfangs kaum abrufbar, wird aber mit der Zeit stärker. Eine andere ist dagegen anfangs stark und auch leicht veränderbar, verblasst aber sehr schnell wieder, wie Forschende in „Science“ berichten. Abhängig ist dies davon, in welchen Neuronengruppen unseres Gedächtniszentrums die Kopien abliegen.

Dank unserer Erinnerungen können wir aus der Vergangenheit lernen und besser auf neue Situationen reagieren. Doch unser Gedächtnis ist nicht statisch wie ein analoges Fotoalbum: Schon beim Abspeichern beeinflussen Gefühle, Erwartungen und interne Filtermechanismen, was unser Gehirn langfristig abspeichert und was nicht. Gleichzeitig sind die in unseren Hirnnetzwerken gespeicherten Erinnerungen dynamisch – sie können auch nachträglich verändert und verfälscht werden.

Hippocampus-Querschnitt
Dieser Querschnitt durch den Hippocampus einer Maus zeigt die verschiedenen Neuronensorten: Früh entstandene Hirnzellen erscheinen hier pink – sie speichern eine lange haltbare Kopie. (Bild: Universität Basel, Biozentrum)

Doch wie schafft es unser Gehirn, unsere Erinnerungen einerseits langfristig und andererseits dynamisch abzuspeichern? Eine Antwort darauf haben nun Vilde Kveim und ihre Kollegen von der Universität Basel gefunden. Im Fokus ihrer Studie standen unterschiedliche Gruppen von Neuronen im Hippocampus, dem Gedächtniszentrum des Gehirns. Die dortigen Gehirnzellen werden in unterschiedlichen Stadien der Embyonalentwicklung gebildet. Sie unterscheiden sich daher genetisch, anatomisch und – so vermuteten die Forschenden – auch funktionell.

Drei Kopien in drei Neuronensorten

Tatsächlich zeigte sich, dass das Gehirn ein Ereignis parallel in mindestens drei dieser Neuronengruppen abspeichert. Dabei spielt der Entstehungszeitpunkt dieser Hirnzellen eine entscheidende Rolle für ihre Funktion: Früh entstandene Neuronen speichern ein Ereignis zwar langfristig, ihre Gedächtniskopie ist aber anfangs sehr schwach und kaum abrufbar. Erst im Verlauf der Zeit wird die gespeicherte Erinnerung immer stärker.

Anders ist dies bei der zweiten Erinnerungskopie in spät entstandenen Neuronen: „Diese Hirnzellen dienen vorzugsweise dem Abrufen nach kurzer Zeit“, erklärt das Team. Ihre Gedächtniskopie ist anfangs sehr stark, wird aber mit der Zeit schwächer – die hier abgespeicherten Erinnerungen sind daher erst sehr präsent, verblassen aber schnell. Die dritte Kopie wird in mittelalten Neuronen gespeichert, die die Erinnerung lange und gleichbleibend stabil konservieren.

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Wichtig für das Lernen und die Veränderbarkeit

Dieses dreifache Abspeichern von Erinnerungen liefert wichtige Hinweise darauf, wie wir lernen, warum wir vergessen, aber auch, wie und warum manche Erinnerungen leichter verfälscht werden. So sind Erinnerungen, die kurz, aber stark von den späten Neuronen gespeichert sind, besonders dynamisch und anfällig für Veränderungen: Rufen wir uns das Ereignis oder das Gelernte kurz nach dem Merken wieder ins Gedächtnis, können die späten Neuronen dabei neue Informationen in die ursprüngliche Erinnerung integrieren.

Erinnern wir uns hingegen erst nach langer Zeit an ein Ereignis, werden dabei die frühen Neuronen aktiv. Deren Gedächtniskopie ist jedoch kaum mehr veränderbar und daher weniger anfällig für nachträgliche Verfälschungen. „Von dem Moment, in dem sie verarbeitet werden, bilden unsere Erinnerungen dynamische Einheiten, deren Merkmale sich mit der Zeit und Erfahrung verändern“, erklären Kveim und ihre Kollegen. „Dies ist einmal mehr ein Beweis für die Plastizität des Gehirns und seine enorme Gedächtniskapazität.“

Neuronaler Balanceakt

Unser Gehirn schafft den Balanceakt zwischen Beständigkeit und Dynamik demnach zum Teil durch die Arbeitsteilung der Neuronen: Einige dienen als schnell abrufbare Arbeitskopien, andere hingegen als lange haltbare Sicherheitskopien. Welche dieser Kopien wie stark ausgeprägt ist, hängt dabei auch davon ab, wann und wie wir die Erinnerung wieder aufrufen. Noch allerdings stehen die Wissenschaftler bei der Erforschung dieser Gedächtniskopien erst am Anfang. Viele Details sind noch ungeklärt.

Doch das Verständnis darüber, wie wir Erinnerungen speichern und verändern, könnte eines Tages dazu beitragen, ungewünschte Erinnerungen, die unser Leben beeinträchtigen, abzuschwächen oder verloren geglaubte Erinnerungen wieder hervorzuholen. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adk0997)

Quelle: Universität Basel

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