Neurobiologie

Zeigt sich unsere politische Einstellung im Gehirn?

Studie bestätigt Zusammenhang von Mandelkern-Größe und Konservatismus

Amygdala
Dieses winzige paarige Hirnareal, die Amygdala, spielt offenbar auch eine Rolle für unsere politischen Einstellungen. © janulla/ iStock

Kann ein winziges Areal in unserem Gehirn verraten, welche politischen Ansichten wir haben? Oder diese sogar beeinflussen? Indizien dafür haben Forscher jetzt bei Hirnscans von fast tausend Testpersonen aus den Niederlanden entdeckt. Demnach ist die Amygdala, ein für Angst und Risikobewertungen zuständiges Hirnareal, bei Menschen mit eher konservativen Ansichten etwas vergrößert. Auch ein weiteres Hirnareal zeigt Unterschiede. Was aber bedeutet dies konkret?

Was prägt unsere politischen Einstellungen? Sind es nur äußere, erworbene Faktoren? Oder spielt vielleicht doch eine gewisse Veranlagung, eine neurobiologische bedingte Prädisposition eine Rolle? Über diese Frage debattieren Psychologen und Neurowissenschaftler schon länger. Dahinter steckt die Annahme, dass konservative Werte oft stärker mit einem Bedürfnis nach Ordnung, Sicherheit und Stabilität, aber auch mit Ängsten verknüpft sind – und damit eng mit der Persönlichkeit und bestimmten neurobiologischen Merkmalen zusammenhängen könnten.

Zwei Hirnareale im Fokus

Im Jahr 2011 schien eine britische Studie dazu erste Belege zu liefern: Hirnscans von 90 Testpersonen zeigten, dass Wähler der konservativen Partei eine vergrößerte Amygdala und einen kleineren anterioren cingulären Cortex (ACC) aufwiesen. Das erste Hirnareal ist entscheidend für die Verarbeitung von negativen Emotionen wie Angst, Trauer oder dem Gefühl der Bedrohung. Der ACC ist verknüpft mit der Affekt-Kontrolle und der Fähigkeit Annahmen und Glaubenssätze zu ändern und zu korrigieren.

Auf den ersten Blick scheint dies zu bestätigen, dass auch die Neurobiologie einen Einfluss auf die politische Einstellung haben kann. Das Problem jedoch: Diese und ähnliche Studien basierten auf nur wenigen Testpersonen und alle nutzten eine stark vereinfachte, eindimensionale Definition der politischen Einstellung. Meist wurden die Teilnehmenden nur danach gefragt, welche von nur zwei in diesen Ländern verfügbaren Parteien sie wählten.

„Aber die politische Einstellung ist eine komplexe, multidimensionale Größe. Sie umfasst die Ansichten zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen, aber auch die Identifikation mit progressiven oder konservativen Werten – es geht dabei nicht einfach nur um rechts oder links“, erklärt Erstautor Diamantis Petropoulos Petalas vom Amerikanischen College in Athen.

Neue Analyse schaut genauer hin

Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Petalas und seine Kollegen von der Universität Amsterdam das Thema Politik und Gehirn noch einmal neu untersucht – mit mehr Testpersonen und einer genaueren, mehrere Aspekte umfassenden Einstufung der politischen Einstellung. Die Studienbasis bildeten Hirnscans mittels hochauflösender Magnetresonanz-Tomografie von 928 Testpersonen aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Niederlande.

Alle Teilnehmenden wurden zu ihrer Identifikation mit verschiedenen progressiven und konservativen Werten befragt, aber auch zu ihrer Meinung zu bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen und Leitsätzen. Ein weiterer Unterschied: Die Studie wurde in den Niederlanden durchgeführt, wo es wie in Deutschland ein Mehrparteiensystem gibt. Auch dadurch konnte das Team ein breiteres Spektrum politischer Einstellungen untersuchen.

Amygdala-Volumen
Bei Menschen mit eher konservativer Einstellung und Selbsteinschätzung zeigte sich eine leicht vergrößerte Amygdala. © Petropoulos Petalas et al./ iScience

Amygdala: Um ein Sesamkorn größer bei Konservativen

Zu ihrem eigenen Erstaunen fanden auch Petalas und seine Kollegen einen Zusammenhang zwischen politischer Einstellung und Hirnanatomie. Die Testpersonen, die sowohl in ihrer Selbstwahrnehmung als auch ihren Ansichten eher konservativ waren, hatten eine leicht vergrößerte Amygdala. „Das war wirklich eine Überraschung, denn wir hatten nicht erwartet, eines der Resultate der früheren Studien replizieren zu können“, sagt Petalas. „Aber wir finden eine sehr schöne Korrelation zwischen den politischen Ideologien der Partei, die diese Personen bevorzugen, und der Größe ihrer Amygdala.“

Allerdings war der Volumenunterschied der Amygdala zwischen eher progressiven und eher konservativen Testpersonen winzig und nur rund ein Drittel so groß wie bei den früheren Studien: „Er umfasst rund zehn Kubikmillimeter, das ist etwa so groß wie ein Sesamkorn“, erklärt das Team. „Allerdings entspricht dies immerhin tausenden Neuronen und Millionen Synapsen.“

Nach Ansicht der Forscher deutet dieser Unterschied darauf hin, dass der für negative Emotionen zuständige Mandelkern durchaus einen Einfluss auf die Persönlichkeit und damit auch unsere Einstellungen haben kann: „Die Amygdala kontrolliert unsere Wahrnehmung und Bewertung von Bedrohungen und Risiken“, erklärt Petalas. „Daher macht es durchaus Sinn, dass Menschen, die dafür sensibler sind, auch ein höheres Bedürfnis nach Sicherheit haben. Und das ist etwas, das typischerweise eher von der konservativen Politik repräsentiert wird.“

Noch ein Hirnareal beteiligt

Es gab aber noch ein weiteres Hirnareal, in dem das Team Unterschiede feststellte: Der sogenannte fusiforme Gyrus, ein Areal im Schläfenlappen, war bei eher konservativ eingestellten Testpersonen ebenfalls etwas größer. „Das Volumen im rechten Teil des fusiformen Gyrus zeigt eine positive Korrelation mit konservativen Haltungen in Bezug auf regulierende Eingriffe der Regierung sowie gegenüber Diversität und Gleichberechtigung“, berichten die Forscher.

Auch das passt nach Ansicht von Petalas und seinem Team ins Bild: „Studien zufolge spielt der fusiforme Gyrus eine Rolle für die Verarbeitung politisch relevanter Stimuli, darunter Gesichtern und Statements. Auch vorurteilsbasierte Reaktionen beispielsweise auf Gesichter von „fremd“ aussehenden Menschen aktivieren den fusiformen Gyrus, wie die Wissenschaftler berichten. Keinen signifikanten Zusammenhang fanden sie hingegen beim ACC. Hier konnten ihre Analysen die früheren Resultate nicht bestätigen.

Nach Ansicht der Forscher legen ihre Resultate damit nahe, dass es vielleicht tatsächlich eine neurologische Komponente in unserer Denkweise und politischen Haltung gibt. Sie betonen aber auch, dass die Forschung dazu erst ganz am Anfang steht. „Ich denke, dass wir in Zukunft stärker auf die funktionelle Konnektivität und Synchronisierung schauen müssen – auf die Frage, wie unsere Gehirnnetzwerke reagieren, wenn Menschen mit verschiedenen politischen Ansichten bestimmte Informationen verarbeiten“, sagt Petalas. (iScience, 2024; doi: 10.1016/j.isci.2024.110532)

Quelle: Cell Press

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