Historische Verkostung: Wissenschaftler haben erstmals das Geheimnis des ältesten noch erhaltenen Biers in Deutschland gelüftet – einem im Jahr 1885 gebrauten Flaschenbier aus Norddeutschland. Die Resultate enthüllen, dass dieses fast 140 Jahre alte Gebräu noch überraschend gut erhalten ist und angenehm schmeckt. Seinen Inhaltsstoffen zufolge handelt es sich um ein untergäriges Lagerbier, dass mit damals brandneuen Methoden der Filterung und Kühlung hergestellt wurde.
Bier hat eine lange Tradition: Schon vor 13.000 Jahren brauten halbsesshafte Menschen im Nahen Osten ein Bier aus Wildgetreide und Pflanzenzusätzen, in China gab es vor 5.000 Jahren sogar schon Bierbrauereien. In Ägypten wurde das Gebräu vor rund 2.000 Jahren sogar als Medizin konsumiert, seinen Geschmack haben Forschende erst vor kurzem durch Nachbrauen rekonstruiert. Auch in Deutschland hat das Bierbrauen jahrhundertealte Wurzeln, das deutsche Reinheitsgebot stammt immerhin schon aus dem Jahr 1516.
Ein Bier aus dem Jahr 1885
Jetzt bietet ein einzigartiger Fund spannende Einblicke in die deutsche Tradition des Bierbrauens. Denn ein Team um Stefan Pieczonka von der Technischen Universität München hat das älteste erhaltene Bier Deutschlands erstmals geöffnet und analysiert. Es handelt sich um ein Flaschenbier, das im Jahr 1885 von der Barre-Brauerei in der norddeutschen Stadt Lübbecke produziert worden war. Diese Brauerei exportierte damals ihre Biere in alle Welt.
Historischen Unterlagen zufolge sollte auch die noch erhaltene Flasche eigentlich nach New York verschifft werden. Doch aus unerfindlichen Gründen blieb sie fast 140 Jahre lang im Keller eines norddeutschen Gewerbegebäudes stehen. Die grüne Bierflasche war mit Korken, Draht und Wachs versiegelt und lagerte stehend und unter weitgehend gleichbleibenden Temperaturen. Doch wie gut hat der Inhalt dieser Flasche die Zeit überstanden? Das haben Forschenden nun erstmals untersucht.
Guter Geschmack auch nach fast 140 Jahren
Die erste spannende Frage war: Wie schmeckt ein Bier nach 140 Jahren? Um das zu erfahren, ließen Pieczonka und sein Team vier professionelle Bierkoster kleine Proben des historischen Biers probieren. Das Ergebnis: „Es war sehr harmonisch im Gesamteindruck und in der Bitterkeit“, berichtet Martin Zarnkow vom Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und Lebensmittelqualität. Das Aroma des Bieres hatte Noten von Sherry, Port und Pflaumen.
„Insgesamt ist es ein sehr schlankes, elegantes, harmonisches Bier, das immer noch ganz hervorragend riecht und schmeckt“, sagt Zarnkow. Durch die Versieglung war kaum Alkohol entwichen und das Bier sprudelte sogar noch leicht. Dennoch zeigten sich einige typische Alterungserscheinungen: Die chemische Alterung der Hopfenanteile haben das Bier ein wenig bitterer gemacht als ursprünglich und auch die Farbe ist etwas nachgedunkelt.
Ein helles Lagerbier mit durchaus modernen Merkmalen
Doch um welche Biersorte handelte es sich? Dafür erstellte das Forschungsteam eine umfassende chemische Analyse des historischen Gebräus und verglich seinen chemischen Fingerabdruck mit dem von 400 modernen nationalen und internationalen Bieren. Auch ein Lagerbier der heute noch existierenden Barre-Brauerei war darunter. Das Ergebnis: Trotz seines Alters zeigt das 1885er-Bier große Übereinstimmungen mit den modernen Biervarianten. Am ähnlichsten war es jedoch einem hellen Lagerbier, wie das Team berichtet.
Nähere Analysen enthüllten, dass dieses historische Lagerbier kaum Heferückstände enthält und daher nach dem Brauen gefiltert worden sein muss – im Jahr 1885 war der erste Filtrationsapparat für Bier erst wenige Jahre zuvor erfunden worden. Zudem entspricht seine Zusammensetzung dem Reinheitsgebot – obwohl dieses zur damaligen Zeit in Norddeutschland nicht offiziell gültig war.
Untergärige Brauweise
Fortschrittlich war das Bier auch in Bezug auf sein Brauverfahren: Es wurde untergärig gebraut und damit mit einem Verfahren, das eine Kühlung erfordert. Indizien dafür lieferten Stoffwechselprodukte, die die Hefen im Bier hinterlassen haben. Das Interessante daran: Lange Zeit war die Produktion von untergärigen Bieren auf das Winterhalbjahr beschränkt, daher waren sie nur wenig verbreitet.
Doch mit der Erfindung von Kühlgeräten in den 1870er Jahren änderte sich dies und das Brauen von untergärigem Bier war nun ganzjährig möglich. „Das Bier von 1885 könnte damit zu den ersten Lagern gehören, die deren charakteristischen Geschmack in gleichbleibender Qualität rund um die Welt bekannt machten“, konstatieren Pieczonka und seine Kollegen. Zusammengenommen liefert das historische Bier damit wertvolle Einblicke in das Bierbrauen zu einer Zeit, in der diese Zunft an der Schwelle zur industriellen Produktion stand. (Scientific Reports, 2022; doi: 10.1038/s41598-022-12943-6)
Quelle: Technische Universität München