Technik

AKW-Rückbau: Neue Messmethode für radioaktive Abfälle

Radioaktive Belastung von Beton- und Graphit-Bauteilen bisher schwer einschätzbar

Das Atomkraftwerk Müheim-Kärlich ist schon seit 30 Jahren stillgelegt. Der Rückbau dauert aber noch immer an. © Wolkenkratzer/ CC-by-sa 3.0

Versteckte Radioaktivität: Ein neues Messverfahren könnte künftig das Aufspüren von Radionukliden in Bauteilen von stillgelegten Atomkraftwerken erleichtern. Denn die Kontamination von Beton- oder Graphit ist bisher nur schwer direkt und präzise messbar. Die sogenannte Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS) soll dies nun ändern. Erste Tests sprechen dafür, dass diese Methode die Art und Menge der radioaktiven Isotope im AKW-Bauschutt genauer und zuverlässiger bestimmen kann als bisher.

Wenn ein Kernkraftwerk stillgelegt und zurückgebaut wird, fangen die Probleme erst richtig an. Zum einen müssen große Menge hochradioktiver Abfälle, darunter ausgebrannte Kernbrennstäbe sicher entsorgt und gelagert werden. Bisher jedoch gibt es noch immer keine Endlager für diesen Atommüll. Zum anderen aber fallen auch große Mengen gering und mittelradioaktiver Abfälle an. Zu diesen gehören Betonwände und andere Bauteile, in denen durch die sogenannte Aktivierung radioaktive Isotope entstanden sind und die deshalb nun selbst radioaktiv sind.

Schwierige Messungen

Das Problem: Während die Kontamination von Oberflächen leicht zu messen ist, ist dies für die Aktivierung nicht der Fall. Ob und wie viele Radionuklide ein Bauteil enthält, lässt sich bisher vor Ort nur indirekt messen. So geben bestimmte Radionuklide Gammastrahlung ab und verraten dadurch ihre Präsenz. Andere Isotope kommen in Verbindung mit einfacher nachweisbaren Radionukliden vor, so dass ihre Mengen zumindest grob geschätzt werden kann.

Doch diese Methoden haben Grenzen. Sind die nicht direkt messbaren Radionuklide beispielsweise langlebiger als das Indikator-Nuklid, scheitern bei älteren Atomabfällen die indirekten Messungen. Manchmal ist zudem das Leitnuklid nur in sehr geringen Spuren vorhanden, was die Einschätzung der tatsächlichen Belastung eines Bauteils fast unmöglich macht. Beim Rückbau von Atomkraftwerken ist das Wissen um die radioaktive Belastung und die vorhandenen Radionuklide jedoch entscheidend, um die Maßnahmen planen zu können.

Matthias Dewald am Detektor des Beschleuniger-Massenspektrometers. Hier werden die gesuchten Radionuklide gezählt, nachdem sie von den übrigen Ionen aus der Probe getrennt wurden. © Sven Dokter/ GRS

Ionenstrahl im Massenspektrometer

Eine Lösung könnte nun Matthias Dewald und sein Team von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gefunden haben. Sie erforschen, ob die sogenannte Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS) das Mess-Dilemma bei der Aktivierung von AKW-Bauteilen beheben kann. Bei diesem Verfahren wird die Probe erst in einen Ionenstrahl umgewandelt, der dann in einem Massenspektrometer analysiert wird.

In einem zweiten Schritt werden aus diesem Strahl alle Atome und Moleküle herausgenommen, die die gleiche Masse wie das gesuchte Radionuklid aufweisen. Sie werden dann einem speziellen Beschleuniger zerlegt, so dass nur noch ionisierte Atome übrigbleiben. Aus diesem Strahl kann nun ein zweites Massenspektrometer die gesuchten Nuklide herausfiltern und zählen – und so die radioaktive Belastung des Materials ermitteln.

Ein Partikel in zehn Billiarden

Der große Vorteil: Diese Methode ist äußerst präzise. Mittels AMS könnte man selbst ein einzelnes Radionuklid in bis zu zehn Billiarden nicht-radioaktiven Isotopen aufspüren – wenn sie in der Praxis funktioniert. Das testen Dewald und sein Team zurzeit mit Betonproben, die zuvor in einem Forschungsreaktor bestrahlt wurden. „Dort können wir innerhalb von Sekunden bis Minuten zu einer Aktivierung der Proben kommen, wie sie in einem Kernkraftwerk erst nach vielen Jahren Betriebszeit erreicht ist“, erklärt Dewald.

Erste Analyseergebnisse gibt es bereits – und diese sind vielversprechend. „Wir konnten bereits erste Unterschiede zwischen den von uns gemessenen Radionuklid-Zusammensetzungen und Nuklidvektoren feststellen, die uns aus der Literatur bekannt sind, sagt Dewald. „Wie relevant diese Unterschiede sind und ob das Konsequenzen für die Freimessung von Stilllegungs-Abfällen hat, lässt sich aber heute noch nicht sagen – da liegt noch Arbeit vor uns.“

Bis Ende 2019 wollen die Forscher nun auch Proben aus den Betonschilden zweier stillgelegter Reaktoren untersuchen. Auf längere Sicht soll dann dem Beton auch aktiviertes Graphit mittels AMS untersucht werden. Solches Graphit findet sich nicht nur in Reaktoren der Tschernobyl-Baulinie RBMK, sondern wurde auch in Deutschland im Hochtemperaturreaktor THTR-300 in Hamm und in mehreren Forschungsreaktoren verwendet.

(Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) gGmbH, 05.09.2018 – NPO)

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