Zwei Fliegen mit einer Klappe: Ein neues Experiment könnte zwei der größten Rätsel der Physik auf einmal lösen – die Natur der Dunklen Materie und die fehlende Antimaterie. Ansatzpunkt ist die Frage, ob Dunkle Materie auf Antiteilchen anders wirkt als auf normale Materie. Genau dies testen nun Physiker am Forschungszentrum CERN mit Antiprotonen. Bisher haben sie zwar noch keine Asymmetrie gefunden, doch ihre Messungen stehen erst am Anfang.
Die Dunkle Materie ist uralt und überall im Kosmos vorhanden – auch in unserem Sonnensystem. Doch ihre Natur gibt Rätsel auf. Bisher ist völlig unklar, aus welchen Teilchen die Dunkle Materie besteht. Alle Kandidaten, ob schwere WIMPs und SIMPs, leichte Axionen, sterile Neutrinos oder sogar „dunkle Photonen“ sind bislang rein hypothetisch.
Doch es gibt noch eine zweite Materiesorte, die Physikern und Kosmologen Kopfzerbrechen bereitet: die Antimaterie. Obwohl von ihr beim Urknall genauso viel entstanden sein muss wie von der normalen Materie, ist unser heutiger Kosmos von Materie dominiert. Aber warum? Schon seit Jahrzehnten suchen Forscher nach einer Asymmetrie in Verhalten oder Eigenschaften, die erklären kann, warum sich die Materie durchsetzte – eindeutige Belege aber fehlen bisher.
Antiprotonen als Detektor für Dunkle Materie
Jetzt aber gibt es einen neuen Ansatz, der gleich beide Rätsel auf einmal lösen könnte – wenn er entsprechende Ergebnisse bringt. „Wir suchen zum ersten Mal explizit nach einer Wechselwirkung zwischen Dunkler Materie und Antimaterie“, erklärt Erstautor Christian Smorra vom RIKEN-Forschungsinstitut. Würde die Dunkle Materie anders auf Antimaterie wirken als auf normale, dann könnte dies die lange gesuchte Asymmetrie sein – und gleichzeitig wertvolle Hinweise auf die Natur der Dunklen Materie liefern.
Konkret untersuchten die Forscher dies in einem Experiment mit Antiprotonen am Forschungszentrum CERN. Sie schlossen die Antiteilchen in einer magnetischen Penningfalle ein und brachten sie dazu, durch wechselnde Magnet-Einwirkung ihren Spin zu ändern. Die Frequenz, bei der dieses „Umklappen“ der Eigenrotation geschieht, variiert normalerweise in regelmäßigen Zyklen – sie zeigt eine sogenannte Präzession.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
An diesem Punkt kommt nun die Dunkle Materie ins Spiel: Sollte sie auf Antimaterie stärker einwirken als auf Materie, dann könnte sich dies an der Präzession der Antiproton-Spins zeigen. „Dabei betrachten wir die potenziellen Teilchen der Dunklen Materie als klassisches Feld mit einer bestimmten Wellenlänge“, erklärt Smorra. „Diese Wellen laufen kontinuierlich durch unser Experiment und verändern dort periodisch die eigentlich konstante Präzessionsfrequenz des Antiproton-Spins im Magnetfeld.“
Sollte sich im Experiment eine solche Abweichung zeigen, dann würde dies zwei Dinge zeigen: Zum einen wäre dies der Beweis dafür, dass Dunkle Materie anders auf Antimaterie wirkt als auf Materie – die lange gesuchte Asymmetrie wäre damit gefunden. Zum anderen aber könnten die konkreten Messwerte dabei helfen, die Masse und Energie der noch unbekannten Dunkle-Materie-Teilchen einzugrenzen. Das würde helfen, das Kandidatenfeld zu verkleinern.
Erste Durchgänge dieses Tests haben Smorra und sein Team bereits in der BASE-Anlage des CERN durchgeführt.
Einflussbereich eingeengt
Das Ergebnis: Bisher konnten die Forscher noch keinen messbaren Einfluss der Dunklen Materie auf den Spin des Antiprotons feststellen – zumindest nicht in dem von ihnen abgesuchten Frequenzbereich. Doch noch haben sie längst nicht alle Bereiche abgesucht, wie sie betonen. Und auch das „Nicht-Ergebnis“ liefert wertvolle Erkenntnisse, denn es schließt bestimmte Massenbereiche für die Dunkle-Materie-Teilchen aus.
„Wir haben basierend auf der jetzigen Empfindlichkeit unseres Experiments eine neue obere Grenze für die Stärke einer potentiellen Wechselwirkung zwischen Dunkler Materie und Antimaterie definiert“, erklärt Stefan Ulmer, Sprecher der BASE Kollaboration am CERN. „Dabei haben wir die Empfindlichkeit im Vergleich zu astrophysikalischen Beobachtungen um bis zu fünf Größenordnungen übertroffen.“
Die Suche geht weiter
Künftig wollen die Wissenschaftler die Messgenauigkeit für die Spinpräzessionsfrequenz noch weiter verbessern. Dafür werden bereits neue Kühlmethoden für Protonen und Antiprotonen entwickelt, während eine weitere Forschergruppe neue Methoden zur Quantenlogik-Spektroskopie des Antiproton-Spins erarbeitet. Die Physiker schlagen zudem vor, dieses Experiment auch mit anderen Antiteilchen wie Positronen oder Antimyonen durchzuführen. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1727-9)
Quelle: RIKEN, Johannes Gutenberg-Universität Mainz