Der teils heftig umstrittene Zeitpunkt des Atomausstiegs hat nur geringe Auswirkungen auf die Strompreise für Verbraucher. Ein Ausstieg deutlich vor 2020 könnte allerdings den Ausstoß des Treibhausgases CO2 in Deutschland kurzfristig in die Höhe treiben. Knackpunkt ist jedoch die Versorgungssicherheit. Sie kann nur gewährleistet werden, wenn gleichermaßen die erneuerbaren Energien und die fossile Stromerzeugung sowie die Netze ausgebaut werden. Dies haben Wissenschaftler jetzt erstmals umfassend errechnet.
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Dabei könne der Einsatz von Gaskraftwerken statt Kohlekraftwerken beim etwa gleichen Preis zu weniger Emissionen und mehr Wettbewerb im Strommarkt führen.
Mehrere Wege zur Energiewende
„Die größte Herausforderung ist nicht der Ausstieg aus der Kernkraft, sondern der Einstieg in ein nachhaltiges, intelligentes und gesellschaftlich akzeptiertes Energiesystem – ein wahrer Kraftakt“, sagte Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) bei der Präsentation der Ergebnisse in Berlin. Die Untersuchung entstand im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig.
„Unsere Studie zeigt den Entscheidern mehrere Wege zur Energiewende auf und macht deutlich, welche Zielkonflikte auftreten, aber auch welche Handlungsoptionen sich hier jeweils bieten“, erklärt der Leipziger Forscher Thomas Bruckner. „Keine andere aktuelle Studie zum Thema hat so viele Szenarien gerechnet, Zeiträume bis 2030 erfasst und zudem die unterschiedlichen Auswirkungen von Gas- gegenüber Kohlekraftwerken als Ersatz für die Atomenergie ermittelt.“
90 Cent monatlich zusätzlich
Ein Atomausstieg 2020 würde gegenüber einem Ausstieg 2022 – wie die Bundesregierung ihn plant – für jeden privaten Haushalt im Jahr 2020 im Schnitt lediglich 90 Cent monatlich zusätzlich kosten. Sogar ein Ausstieg bereits im Jahr 2015 würde im Vergleich zu einem Ausstieg 2020 oder 2022 nur zu einem zusätzlichen Stromkostenanstieg von etwa zwei Euro pro Monat für die Verbraucherhaushalte führen, so die Forscher.
Der Großhandelspreis für Strom auf dem so genannten Spotmarkt stiege pro Kilowattstunde von heute rund fünf Cent im Falle eines Ausstiegsdatums 2020 auf 5,9 Cent im Jahr 2015. Im Falle eines Ausstiegs 2015 stiege er auf 6,7 Cent. Für beide Szenarien wären im Jahr 2030 wieder die ursprünglichen fünf Cent erreicht – vorausgesetzt, dass vor allem die erneuerbaren Energien stärker als bisher geplant ausgebaut werden.
Energieeffizienz muss gesteigert werden
Diese Preise bleiben nach Angaben der Wissenschaftler nur dann so niedrig, wenn die Energieeffizienz wie von der Bundesregierung geplant gesteigert wird. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sind die steigenden Preise von Brennstoffen und CO2-Emissionen, die zu einem Kostenanstieg für den Verbraucher führen könnten.
Ein Ausstieg 2020 statt 2022 ließe laut den Berechnungen die CO2 Emissionen nur kurzfristig leicht steigen. Ein kompletter Ausstieg schon 2015 würde allerdings die CO2-Emissionen deutlich in die Höhe treiben. Sie lägen dann hierzulande um 64 Millionen Tonnen höher als bei einem Ausstieg 2020 oder 2022, so die Forscher. Das würde den deutschen Ausstoß von CO2 bei der Stromerzeugung im Jahr 2015 insgesamt um fast ein Viertel erhöhen.
Klimaschutz nicht gefährdet
Die zusätzlichen Emissionen ließen sich nach den Ergebnissen der Studie bei einem verstärkten Ausbau von Gaskraftwerken statt Kohlekraftwerken um 20 Prozent senken. Durch die zusätzlichen Emissionen wäre aber der Klimaschutz nicht gefährdet, anders als vielfach angenommen wird. Die Emissionsmengen in Europa sind gedeckelt. Stößt ein Land mehr Treibhausgase aus, so müssen anderswo die Emissionen reduziert werden.
Dadurch steigen aber die Preise der frei gehandelten Emissionszertifikate, was den Strom für die Verbraucher am Ende doch noch mal teurer machen könnte – dies sei einer der Zielkonflikte, erklären die Forscher. Größter Unsicherheitsfaktor sind steigende Preise für fossile Brennstoffe und CO2-Zertifikate. Hierdurch könnte je nach Szenario ein zusätzlicher Mehrpreis von 1,7 Cent pro Kilowattstunde im Großhandel zu verzeichnen sein. Die Wissenschaftler sehen dies als weiteren Grund, unabhängiger von den fossilen Energieträgern zu werden und schneller auf die erneuerbaren Energien umzusteigen.
Dies erfordere aber einen entsprechenden Ausbau des Stromnetzes, wozu eine Beschleunigung des schon jetzt beschlossenen Ausbaus gehöre. Weiterhin müsse über zusätzliche Mechanismen zur Gewährleistung der Netzstabilität nachgedacht werden.
Massiver Ausbau der erneuerbaren Energien nötig
Der Ausstieg aus der Kernenergie erfordert den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und einen schnelleren Zubau von fossilen Ersatzkapazitäten als bisher geplant, so die Forscher weiter. Bis zum jeweiligen Ausstiegszeitpunkt 2015, 2020 oder 2022 ist über die im Bau befindlichen Projekte hinaus eine zusätzliche Leistung von acht Gigawatt an fossilen Kraftwerken notwendig, um die Jahreshöchstlast abzudecken. Dies entspricht etwa zehn Großkraftwerken.
Sofern nicht die längere Nutzung älterer fossiler Kohlekraftwerke in Erwägung gezogen wird, erfordert dies die Inbetriebnahme von fossilen Kraftwerken, die derzeit nur im Planungsstatus sind. Das stelle eine große Herausforderung dar, so die Forscher, und ein Ausstieg bereits 2015 sei angesichts der nötigen zusätzlichen Kraftwerksbauten kritisch zu überprüfen.
Edenhofer fordert unabhängigen Expertenrat
Zur Umsetzung der Energiewende ist laut Edenhofer die Einrichtung eines unabhängigen Expertenrats sinnvoll. „Entscheidend ist, dass der Rat nicht nur einen Weg hin zu Klimaschutz und Energiesicherheit vorschlägt, sondern dem Bundestag mehrere gangbare Alternativen vorlegt.“ Das würde die Transparenz und damit die Legitimität von politischen Entscheidungen erhöhen und damit auch die Akzeptanz für die Energiewende schaffen, so die Autoren. Dabei müsse es auch um die Politik auf EU-Ebene gehen.
Handlungsoptionen gebe es bei der Erweiterung des EU-Emissionshandels um den Transportsektor und bei der möglichen Integration der europäischen Fördersysteme für die erneuerbaren Energien in ein gemeinsames EU-weites System. „Ein nationaler Alleingang in der Energiefrage ist wenig sinnvoll“, sagt Edenhofer. „Das gilt insbesondere für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze über Staatsgrenzen hinweg.“
(Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 14.06.2011 – DLO)