Atome an der Oberfläche schwingen viel weicher als im Inneren. Dies haben jetzt Wiener Wissenschaftler in einem mehrjährigen, breit angelegten Forschungsprojekt der Materialphysik herausgefunden. Wie die Forscher in der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichten, sind sie auch den Sprüngen einzelner Oberflächen-Atome auf der Spur.
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Nanophysik und Nanochemie sind moderne Forschungsgebiete zur Untersuchung von Oberflächen, Grenzflächen, dünnen Schichten und kleinen Partikeln. Die Erkenntnisse bieten Grundlagen für die Entwicklung immer kleinerer Bauteile. Dass diese Wissenschaftsgebiete von großer Bedeutung sind, spiegelt sich auch in der diesjährigen Vergabe der Nobelpreise für Physik und Chemie wider.
In den Arbeiten der Physiker um Gero Vogl und Bogdan Sepiol von der Universität Wien geht es speziell um die Wärme-Bewegung einzelner Atome, deren Diffusion, und die Wärme-Schwingungen der Schichten. Die Schwingungen bestimmen die thermischen Eigenschaften und damit die spezifische Wärmekapazität. Die Diffusion in und auf den Schichten bestimmt deren thermische Stabilität. Als Grundlagenforscher haben sich die Wiener Wissenschafter auf „klinisch reine“ Flächen beschränkt, indem sie einzelne Flächen präparierten, um die komplizierten Phänomene zu entwirren, die sich in der Nanophysik und Nanochemie vermischen.
Das Verständnis des thermischen Verhaltens der Materialien ermöglicht in der Folge die Herstellung und Verbesserung neuer Nanomaterialien, wie sie heute in der modernen Technik gefragt sind, zum Beispiel in Turbinenschaufeln, Motorenteilen und Abgas-Katalysatoren.
Experimente in Grenoble
Um die Oberflächenqualität untersuchen zu können, bauten die Physiker spezielle Analyse-Vorrichtungen an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble. Am Synchrotron kann extrem scharfe Röntgenstrahlung erzeugt werden, die es erstmals ermöglicht, Untersuchungen der Oberflächen-Dynamik anzugehen. Unabdingbar für den Erfolg war eine Apparatur (eine „Kammer“) direkt am ESRF, in der ein 10.000-milliardenfach kleinerer Gasdruck herrscht als wir ihn fühlen. Das ist notwendig, um die Oberflächen rein zu halten. Allein die Konzeption dieser Apparatur erforderte mehr als ein Jahr. Ihre Konstruktion ist nicht abgeschlossen, sondern wird entsprechend dem kontinuierlichen Lernen beim Experiment immer wieder neu angepasst.
Voraussetzung für die Experimente war, dass dieser niedrige Gasdruck nicht nur bei Raumtemperatur, sondern auch bei einigen hundert Grad Celsius stabil blieb. Darüber hinaus musste der Synchrotronstrahl durch Spezialfenster unter ganz flachem Einfallwinkel in die Kammer eindringen und aus ihr wieder austreten können. Der ein- und austretende Strahl wird mit Hilfe feinster Monochromatoren bezüglich seiner Energie und Intensität eingestellt und nach seiner Interaktion mit der Oberflächenschicht analysiert.
Ergebnis: Schwingung und Sprünge der Oberflächen-Atome können verfolgt werden
Mit dem Forschungsprojekt konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die Atome in der Oberflächenschicht viel weicher schwingen als im Inneren. Darüber hinaus lässt sich feststellen, wie diese Weichheit mit der Tiefe abklingt. Die Physiker wissen nun, dass und wie in „epitaktischen“ – das bedeutet auf einem anderen Material aufgewachsenen – Oberflächenschichten, die darunter liegenden Schichten ihren Einfluss geltend machen. Mit Hilfe der neuen Untersuchungsmethoden lässt sich auch das Springen einzelner Atome auf der Oberfläche mitverfolgen. Zu diesen Forschungsarbeiten wurden in den renommierten „Physical Review Letters“ bereits zwei Beiträge im August und Oktober 2007 veröffentlicht, ein weiterer erscheint noch in diesem Monat.
(idw – Universität Wien, 17.10.2007 – DLO)