Tageslicht beeinflusst unsere innere Uhr und wirkt anregend auf unser Gehirn. Dieses Wissen haben sich Fraunhofer-Forscher zunutze gemacht und gemeinsam mit Industriepartnern eine Beschichtung für Glasscheiben entwickelt, die mehr Licht durchlässt. Vor allem der blaue Anteil des Lichts, der den Hormonhaushalt beeinflusst, kann diese Scheiben dadurch besser passieren.
Die meisten Menschen bevorzugen helle, lichtdurchflutete Wohnungen. In dunklen Räumen hält sich niemand gerne auf. Kein Wunder – denn Tageslicht spendet Energie und beeinflusst unser Wohlbefinden entscheidend. Es ist ein echter Stimmungsaufheller. Doch nicht jeder hat das Glück, in großzügig verglasten Räumen zu leben. Auch Büroräume, in denen man viele Stunden verbringt, sind oftmals düster. Moderne Wärme- und Sonnenschutzverglasungen von Büro- und Wohngebäuden verbessern die Situation nicht: Sie sind für den Bereich der Hormonsteuerung nicht optimal lichtdurchlässig – ein deutlich spürbarer Prozentteil der einfallenden Sonnenstrahlung in diesem wirksamen Spektrum wird reflektiert.
Entspiegelte Gläser, die das Tageslicht insgesamt besser hindurch lassen, sind bisher Spezialanwendungen wie zum Beispiel Abdeckungen für Photovoltaikmodule oder Verglasungen für Vitrinen vorbehalten. Ziel ist es, mit diesen Scheiben störende Reflexe zu vermeiden und bei der maximalen Lichtdurchlässigkeit dem Strahlungsmaximum des Sonnenlichts möglichst nahezukommen. Bei diesem Wert ist die menschliche Netzhaut auch besonders helligkeitsempfindlich. „Unser Biorhythmus wird jedoch nicht von den Wellenlängenbereichen beeinflusst, die für die höchste Helligkeit im Raum verantwortlich sind, sondern von dem Blauanteil des Lichts“ erklärt Walther Glaubitt vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg.
Der Forscher und sein Team haben daher ein Glas entwickelt, das gezielt für den Blauanteil des Lichts durchlässig ist. Hierfür sorgt eine spezielle langzeitbeständige, anorganische Beschichtung, die nur 0,1 Mikrometer dünn und kaum wahrnehmbar ist. „Ein vergleichbares Glas gab es bislang noch nicht. Es vermittelt den Eindruck, als sei das Fenster dauerhaft geöffnet“, sagt Glaubitt. Dieser Eindruck entsteht unter anderem, da das Glas im Bereich zwischen 450 und 500 Nanometern maximal durchlässig ist – genau hier wirken die Blauanteile des Lichts am stärksten.
Lichtmangel führt zu Schlafstörungen
Doch warum beeinflusst der Blauanteil des Lichts unser Befinden so entscheidend? „Die Netzhaut des menschlichen Auges ist durch einen Nerv mit dem Hypothalamus verbunden, der Schaltzentrale des vegetativen Nervensystems“, erläutert Glaubitts Teamkollege Jörn Probst. Am Ende der Nervenverbindung sitzen spezielle Rezeptoren, die für das blauwellige Licht empfindlich sind. Sie leiten es in Form von Hell-Dunkel-Signalen an den Bereich weiter, der anatomisch als die biologische Uhr des Organismus gilt. Die dort eingegangenen Impulse steuern unter anderem den Melatoninspiegel. Ist dieser durch Lichtmangel erhöht, kann es zu Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Depressionen und anderen psychischen Beeinträchtigungen kommen. Die Winterdepression ist ein Beispiel für einen aus der Balance geratenen Melatoninhaushalt. „Unsere Beschichtung bewirkt, dass man sich leistungsfähiger fühlt und seltener krank ist“, so Probst.
Dreifach-Isolierglas mit dieser Beschichtung wird jetzt als UNIGLAS | VITAL® Wohlfühlglas als auf den Markt kommen. Bei ihnen ist die Lichtdurchlässigkeit im Wellenbereich von 380 bis 580 Nanometern, also im vitalisierenden Anteil des natürlichen Lichts, angehoben. Bei 460 Nanometern liegt die Lichtdurchlässigkeit des Glases immerhin bei 79 Prozent. Vergleichbare herkömmliche Dreifach-Isoliergläser erzielen hier nur einen Wert von 66 Prozent. Die Wärmedämmung ist dennoch nicht beeinträchtigt.
Doch die Forscher vom ISC haben ihr Ziel noch nicht ganz erreicht: „Bislang haben wir nur die dem Scheibenzwischenraum zugewandten Glasoberflächen mit unserer Spezialbeschichtung ausgestattet. Künftig werden wir auch die bewitterten Oberflächen – also die Wetterseite und die zum Innenraum – beschichten. Dann erreichen wir bei 460 Nanometern einen Lichtdurchgang von etwa 95 Prozent“, sagt Glaubitt.
(Fraunhofer-Gesellschaft, 06.07.2012 – NPO)