Die bisher anspruchvollste Mission zur Erforschung des Schwerefeldes der Erde geht jetzt in die entscheidende Phase: Der ESA-Satellit GOCE sendet seine ersten wissenschaftlichen Messdaten. Mit bisher unerreichter Genauigkeit wird er nun zweimal sechs Monate lang ununterbrochen die winzigen Unterschiede im Schwerefeld der Erde vermessen, um ein einmalig exaktes Modell des Geoids, der Oberfläche eines idealen globalen Ozeans im Ruhezustand, zu ermitteln.
Die Gravitation ist eine der Grundkräfte der Natur, die viele dynamische Prozesse im Erdinneren sowie an und über der Erdoberfläche beeinflusst. Eine genaue Kenntnis des Gravitationsfeldes der Erde trägt entscheidend dazu bei, Prozesse im Erdinneren und somit die Physik und die Dynamik von Erdbeben und Vulkanismus besser zu verstehen. Obwohl in den vergangenen Jahren zahlreiche Schweremessungen auf der Erde vorgenommen wurden, bietet erst der Zugang zum Weltraum die einzigartige Möglichkeit, detaillierte Messdaten des gesamten globalen Gravitationsfeldes zu erfassen.
Satellit auf Messhöhe abgesenkt
Begonnen hat die GOCE (Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer) -Mission mit dem Start der Trägerrakete, die den Satelliten am 17. März dieses Jahres in eine Erdumlaufbahn brachte, die etwas weiter entfernt ist als seine jetzige Arbeitshöhe. In den zurückliegenden Monaten wurden alle Sensoren überprüft: das neuartige Gravitationsgradiometer, die beiden geodätischen GPS-Empfänger, die Sternsensoren, die Ionentriebwerke und magnetischen Drehmomentgeber. Mit Beginn der Messperiode ist nun ein Meilenstein der Mission erreicht.
„Am 13. September wurde GOCE auf seine Arbeitshöhe von 255 Kilometern gelenkt, nun werden wir sehr bald mit der Auswertung der Daten beginnen können“, erklärt Reiner Rummel, Professor für Astronomische und Physikalische Geodäsie an der Technischen Universität München (TUM), einer der GOCE-Initiatoren und Vorsitzender des European GOCE Gravitiy Consortiums. Rummels Team arbeitet mit einer Gruppe europäischer Wissenschaftler an der Berechnung eines globalen Modells des Gravitationsfelds und Geoids aus den Messdaten, die GOCE sendet.
Wichtig auch für Klimaforschung
Angesichts unübersehbarer Klimaänderungen sind die Daten, die GOCE nun aus dem All sendet, wichtig für ein besseres Verständnis des Systems Erde. GOCE wird eine Karte des Geoids, der Bezugsfläche der Erde, und von Anomalien des Schwerefeldes in hoher Auflösung liefern. Eine solche Karte wird weitaus verbesserte Referenzen für Klimastudien einschließlich der Veränderung
des Meeresspiegels, der Ozeanströmungen und für Untersuchungen der Dynamik der Eiskappen liefern.
Durch die Messungen wird es möglich, die Oberflächenzirkulation der Weltmeere mit deutlich verbesserter Detailgenauigkeit zu erfassen. Bisher hatte man sie hauptsächlich aus mathematischen Modellrechnungen erschlossen. Eine genaue Bestimmung der Ozeanzirkulation ist deshalb so wichtig, weil die Meeresströme 50 Prozent zum Wärmehaushalt der Erde beitragen. Sollte sich zum Beispiel der Verlauf des Golfstroms ändern, würde dies für Europa deutliche Temperaturänderungen bedeuten. Mit GOCE werden Wissenschaftler anhand eines Referenzsystems in der Lage sein, solche Veränderungen der Meeresströme genauer zu erkennen.
Verbesserung der Satellitennavigation
Auch das Vermessungswesen wird von den Daten, die GOCE jetzt aus dem All sendet, enorm profitieren. Durch die Verfügbarkeit einer hochgenauen Referenzfläche wird es durch Kombination mit Messungen von Satellitennavigationssystemen (zum Beispiel GPS oder GALILEO) in Zukunft erstmalig möglich sein, jedem Nutzer Meereshöhen auf den Zentimeter genau zur Verfügung zu stellen. Die Münchner Wissenschaftler rechnen damit, dass alle Satellitennavigationsempfänger der Zukunft diese Option enthalten werden.
(Technische Universität München, 06.10.2009 – NPO)