Physik

Chaos unter Quanten

Forscher weisen erstmals Quantenchaos bei der Ionisation von Atomen nach

Die einzelnen Atome aus dem Rubidium-Atomstrahl fliegen durch eine quaderförmige Anordnung. Darin herrschen zugleich ein starkes magnetisches und ein elektrisches Feld: Magnetspulen erzeugen ein Magnetfeld, und zwischen der inneren Elektrode (orange) und der Mantelelektrode (grün) besteht ein elektrisches Feld. Das Laserlicht, das den Fotoeffekt auslöst, hat eine einstellbare Frequenz. Die Messung des Fotoeffekts erfolgt in drei Schritten: (1) Jedes durch den Laserstrahl fliegende Atom schluckt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, die von der Lichtfrequenz abhängt, ein Photon aus dem Laserstrahl. Dabei zerfällt es in ein (Photo-)Elektron und ein Rubidiumion. (2) Unter dem Einfluss des Magnetfelds und des elektrischen Felds bewegen sich die Photoelektronen um die innere Elektrode. Wenn die Felder die geeignete Form besitzen, verlassen die Elektronen die quaderförmige Anordnung bei der roten Elektrode und werden so räumlich von den Rubidiumionen getrennt. (3) Während Rubidiumionen und nicht zerfallene Rubidiumatome von einem Metallzylinder aufgefangen werden, trifft der aus den Photoelektronen bestehende Photostrom auf einen Detektor und wird dort nachgewiesen. © MPI für Quantenoptik

Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Quantenoptik haben bei der Untersuchung des chaotischen Verhaltens in der Quantenwelt zum ersten Mal Quantenchaos bei der Ionisation von Atomen zeigen können. Mit Hilfe von Laserlicht lösten sie Elektronen in starken elektromagnetischen Feldern aus einzelnen Rubidiumatomen. Anschließend maßen sie typische Schwankungen im Elektronenstrom in Abhängigkeit von der Frequenz des Laserlichtes, die auf die chaotische Bewegung der Elektronen zurückzuführen sind. Das Experiment basiert auf einem Versuch aus den Anfangszeiten der Quantenmechanik, dem Nachweis des Fotoeffektes. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Physical Review Letters.

In der makroskopischen Alltagswelt des Menschen herrscht oft „deterministisches Chaos“: Wie sich Wetter- und Strömungsverhältnissen in Zukunft entwickeln, wie sich Himmelskörper bewegen oder wie eine Insektenpopulation wächst, das lässt sich exakt in Formeln beschreiben, diese Vorgänge sind „deterministisch“. Doch wie sie sich entwickeln, das hängt zugleich sehr empfindlich von den Startwerten ab. Schon der geringste Fehler bei der Messung des Ausgangszustandes kann eine langfristige Vorhersage unmöglich machen – Physiker sprechen davon, die Vorgänge seien „chaotisch“.

Auch mikroskopische Vorgänge können sehr komplex sein. Doch die Quantenmechanik schließt ein „deterministisches Chaos“ für Welt der Atome strikt aus – unter anderem deshalb, weil sich quantenmechanische Systeme nichtdeterministisch aus vielen gleichzeitigen Anfangszuständen entwickeln. In der Quantenchaosforschung suchen Physiker daher in der Welt der Quanten nach Entsprechungen zum deterministischen Chaos der Alltagswelt. So erforschen Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für Quantenoptik quantenmechanische Systeme, die nach den Regeln der makroskopischen Physik deterministisch chaotisch wären.

Erster experimenteller Nachweis von Quantenchaos gelungen

Den Wissenschaftlern um Gernot Stania und Herbert Walther gelang jetzt der erste experimentelle Nachweis von Quantenchaos in einem System, in dem sich die Bestandteile während des Experiments im Prinzip beliebig weit in alle Richtungen entfernen können. Sie griffen dabei auf ein historisches Experiment zurück: Einen Versuch zum Nachweis des Fotoeffektes, bei dem Elektronen aus einem Metall freigesetzt werden, sobald man sie mit Licht bestrahlt.

Klassisch wird dabei eine elektrische Spannung an zwei gegenüberliegende Metallplatten angelegt, von denen eine mit einem Alkalimetall überzogen ist. Das Alkalimetall bestrahlt man mit Licht einer bestimmten Frequenz (und damit Energie). Sobald die Energie ein bestimmtes Maß übersteigt, löst das Licht Elektronen aus dem Metall heraus, die als elektrischer Strom nachweisbar sind. Vor hundert Jahren veröffentlichte Albert Einstein seine Erklärung für diesen Effekt, die entscheidend für die Entwicklung der Quantentheorie wurde und 1921 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Quantenoptik passten dieses Experiment an ihre Bedürfnisse an: In der modernen Fassung wird das Alkalimetall nicht auf eine Metallplatte aufgetragen, sondern fliegt als Strahl aus einzelnen Rubidiumatomen durch den Versuchsaufbau. Die Atome werden dort einem elektrischen Feld und einem starken Magnetfeld ausgesetzt. Wie beim historischen Experiment bestrahlt man nun die Atome mit Licht einer bestimmten Frequenz, das aus den Atomen Elektronen herauslösen kann. Dieser Strom aus Elektronen wird in Abhängigkeit von der Lichtfrequenz gemessen.

Strom aus Elektronen schwankt

Mit dem Magnetfeld, dem elektrischen Feld und den elektrostatischen Kräften im Atom (Anziehung von Protonen und Elektronen) wirken drei unterschiedliche Kräfte auf die (Leucht-)Elektronen in den Rubidium-Atomen, die jeweils sehr unterschiedliche Elektronenbewegungen hervorrufen. Solange eine dieser Kräfte überwiegt, ist die Bewegung des Elektrons einfach und nicht chaotisch – das ist beispielsweise der Fall, wenn das Elektron noch kein Laserlicht absorbiert hat und sich in der Nähe des Atomkerns aufhält. Doch in dem Moment, in dem das Elektron ein Lichtteilchen aufnimmt, gerät es in einen energetisch höheren Zustand, und damit stärker in den Einfluss des äußeren elektromagnetischen Feldes – und seine Bewegung wird chaotisch. Im Zuge dieser Bewegung entfernt es sich immer weiter vom Kern, bis es frei ist.

Das Chaos in der Bewegung zeigt sich darin, dass der Strom aus Elektronen in einer bestimmten Weise schwankt, und zwar passend zur Energie der Lichtteilchen; diese Schwankung wird auch als Ericson-Fluktuation bezeichnet. Den Forschern gelang es nicht nur, die Ericson-Fluktuation nachzuweisen, sie konnte darüber hinaus auch mit Hilfe des Versuchaufbaus über die Stärke des elektrischen und magnetischen Feldes einstellen, wie chaotisch sich das System nach den Regeln der makroskopischen Physik verhält. Damit konnten sie den Zusammenhang zwischen deterministischem Chaos und den Fluktuationen des Photostroms nachweisen: Je chaotischer das System nach den Regeln der makroskopischen Physik reagierte, desto stärker waren die gemessenen Fluktuationen.

(MPG, 04.11.2005 – DLO)

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