Chemie

Chemie: Gibt es „Geisterbindungen“?

Raffinierte Manipulation bringt Atome zur chemischen Bindung mit leerem Raum

So sieht die Geisterbindung aus: Ein Wassserstoffatom (rot) im Rydberg-Zustand bindet mit einer leeren Stelle im RAum. © M. Eiles/ Purdue University

Bindung ohne Partner: Forscher haben ein unmöglich erscheinendes Phänomen vorgestellt: die chemische Bindung eines Atoms mit dem Nichts. Dabei reagiert das Elektron eines angeregten Wasserstoff-Atoms auf eine leere Stelle im Raum – und verhält sich dabei so, als gäbe es dort einen Reaktionspartner. Eine solche „Geisterbindung“ wäre zwar extrem kurzlebig, aber dennoch nachweisbar, sagen die Physiker. Noch allerdings steht der Nachweis in einem Experiment aus.

In der Chemie sind die Regeln eigentlich klar: Eine chemische Bindung kommt immer dann zustande, wenn die Außenelektronen eines Atoms mit denen eines anderen interagieren. Damit scheint klar, dass es immer mindestens zwei Bindungspartner geben muss, in seltenen Fällen können auch echte Drei-Partner-Reaktionen auftreten, wie Forscher vor kurzem entdeckt haben. Ob eine Bindung vorliegt, lässt sich unter anderem an der Form der Elektronenorbitale ablesen.

Am Anfang steht ein Riesenatom

Doch was wäre, wenn man ein Atom so austricksen könnte, dass es mit einem nicht existenten Partner reagiert? Was zunächst absurd klingt, haben nun Matthew Eiles von der Purdue University und seine Kollegen weitergedacht. Sie entwickelten eine Methode, mit der man eine solche Bindung mit dem Nichts – ein „Ghost Bond“ – erzeugen könnte. In einer theoretischen Simulation belegen sie, dass und wie dies möglich wäre.

Kernstück dieser „Geisterbindung“ ist ein Rydberg-Atom – ein Atom, bei dem das äußere Elektron durch Energiezufuhr extrem weit außen kreist. Die Atomhülle ist dadurch bis auf das Tausendfache aufgebläht. „Experimente in den letzten Jahren haben gezeigt, dass zwischen solchen angeregten Rydberg-Atomen und einem Atom im Grundzustand ganz neue Bindungsformen auftreten können“, berichtet Eiles. „Die resultierenden Elektronenorbitale ähneln dabei einem Trilobiten-Fossil aus der Urzeit.“

Orbitale wie einer echten Bindung

Diese exotische Bindung haben Eiles und sein Team nun als Ausgangspunkt für ihre „Geister-Bindung“ genutzt. Um diese zu erzeugen, muss man zunächst ein Wasserstoffatom durch Laserbestrahlung in ein Rydberg-Atom umwandeln. Dann sorgt eine genau austarierte Abfolge von magnetischen und elektrischen Pulsen dafür, dass das Elektron sich einem Bindungspartner gegenüber wähnt: Die Puls-Kombination ahmt das Potenzial nach, das bei einer Bindung des Rydberg-Atoms mit einem Partner auftritt.

Diese Manipulation führt dazu, dass das Elektron an einem Punkt im Raum lokalisiert bleibt, statt frei umherzurasen, wie die Forscher berichten. Das Elektron erscheint wie an einen unsichtbaren Partner gebunden – obwohl sich dort nichts befindet als leerer Raum. Dennoch verändert sich dadurch wie bei einer echten Bindung die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons und die Orbitale nehmen eine Trilobitenform an.

Kurzlebig, aber nachweisbar

„Die Herstellung dieser exotischen chemischen Bindungen beruht darauf, dass Rydberg-Elektronen besonders gut durch externe Felder beeinflussbar sind“, erklären Eiles und seine Kollegen. Durch ihren großen Abstand zum Atomkern sind weniger stark von ihm kontrolliert und reagieren daher selbst auf vergleichsweise schwache Einflüsse von außen. Das mache es leichter, ihre Wellenfunktion zu manipulieren, so die Forscher.

Allerdings hält diese „Geisterbindung“ nicht lange an: „Wir setzen eine untere Lebensdauer von rund 200 Mikrosekunden an“, sagen die Wissenschaftler. Wenn man jedoch das Rydberg-Atom bis auf zehn Kelvin herunterkühlt, könnte dieser Zustand auch einige Millisekunden andauern. Nachweisen könnte man die exotische Geisterbindung dann mittels Röntgenbeugung oder Elektron-Spektroskopie, wie Eiles und seine Kollegen erklären.

Wie machbar sind die Geisterbindungen?

Bisher allerdings existieren solche Atombindungen mit dem Nichts nur auf dem Papier. Das Problem: Damit die Geisterbindung entsteht, müssen die Magnet- und Elektropulse extrem präzise austariert sein. Ihre Amplitude, das Timing der Pulse und die Feldstärken müssen ganz bestimmte Werte haben – und das ist mit bisheriger Technik nur sehr schwer zu erreichen, wie die Forscher erklären. Hinzu kommt, dass das gesamte Experiment vollständig gegenüber Störfeldern abgeschirmt werden muss.

Dennoch halten Eiles und sein Team die Erzeugung von Ghost-Bonds in naher Zukunft durchaus für machbar. „Man könnte sich sogar noch exotischere ‚Geister‘-Zustände vorstellen, bei denen Dreierbindungen simuliert werden oder mehrere ‚Geister‘-Atome in einer Linie stehen“, spekulieren die Forscher. (Physical Review Letters, 2018; doi: 10.1103/PhysRevLett.121.113203)

(American Institute of Physics, 19.09.2018 – NPO)

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