Glas wird bio: Chemiker haben ein Glas hergestellt, das transparent, stabil und trotzdem in der Natur oder im Körper biologisch abbaubar ist. Möglich wurde dies durch eine chemische Modifikation von Aminosäuren und Peptiden, durch die sie sich erhitzen und schnell zur typisch amorphen Glasstruktur „abschrecken“ lassen. Anders als anorganisches Gläser oder Plexiglas wird dieses biomolekulare Glas auf dem Kompost zersetzt und kann auch vom Körper ohne Gesundheitsfolgen abgebaut werden, wie das Team in „Science Advances“ berichtet.
Ob als Fensterscheibe, für Gefäße oder optische Linsen aller Art: Glas ist für unseren Alltag und unsere Technik unverzichtbar. Denn die Gläser aus Quarzsand, Acryl oder auch Metallen sind stabil, optisch transparent und meist auch beständig gegenüber chemischen Einflüssen. Typisch für diese Feststoffe ist ihre amorphe Struktur: Das mineralische oder organische Rohmaterial wird geschmolzen und dann so schnell abgeschreckt, dass das Material nicht auskristallisieren kann – es erstarrt in einem quasi flüssigen Zustand.
Aminosäuren statt Quarzsand
Doch bisher gibt es ein Problem: Glas ist kaum biologisch abbaubar und gerade Hightech-Gläser aus Metallen und metallorganischen Gerüststrukturen könnten damit zum Umweltproblem werden. Abhilfe schaffen könnten zwar Gläser aus Biomolekülen wie Peptiden und Proteinen, doch diese Moleküle sind nicht hitzebeständig. Das für die Glasherstellung nötige Erhitzen und Abschrecken funktionierte daher bei ihnen nicht.
Jetzt hat ein Team um Ruirui Xing von der chinesischen Akademie der Wissenschaften diese Hürde überwunden: Sie haben ein biologisches Glas entwickelt, das chemisch, optisch und mechanisch die typischen Eigenschaften von Glas besitzt, aber biologisch abbaubar ist. Das neue Bioglas besteht aus Aminosäuren und Peptiden als Ausgangsstoffen, die chemisch leicht modifiziert wurden, um ihnen eine bessere Hitzebeständigkeit zu verleihen. Dafür wurden die Biomoleküle um Acetylgruppen (-C(O)CH3), Benzyloxycarbonylgruppen (C8H7O2) oder 9-Fluorenylmethyloxycarbonylgruppen (Fmoc) als stabilisierenden „Schutzgruppen“ ergänzt.
Lichtdurchlässig und stabil
Durch diese chemische Modifikation lassen sich Aminosäuren und Peptide schmelzen, ohne dass sie denaturieren. „Durch genaue Kontrolle der Erwärmungs- und Abkühlungsraten konnte die Flüssigkeit zu Glas abgeschreckt werden, ohne dass eine Kristallisation eintrat“, berichten Xing und sein Team. Das Ergebnis war ein klarer, amorph strukturierter Feststoff, der dem mineralischen Glas in seinen mechanischen Eigenschaften sehr ähnlich war. Einige der Biogläser waren sogar weniger zerbrechlich als Acrylglas oder einige metallische Gläser, wie das Team berichtet.
Die meisten biologischen Gläser waren farblos und transparent für Licht im ultravioletten, sichtbaren und infraroten Bereich. „Die von uns entwickelten Gläser haben eine optische Durchlässigkeit von bis zu 90 Prozent, was sogar über der von Glas in vielen kommerziellen Anwendungen liegt“, schreiben die Wissenschaftler. Durch Zusatz verschiedener Farbstoffe konnten sie die Biogläser zudem ähnlich gut einfärben wie normales Glas, auch Fluoreszenzen ließen sich mit ihnen erzeugen.
In Kompost, Boden und im Körper abbaubar
Das Entscheidende jedoch: Das neuartige Bioglas ist zwar thermisch und mechanisch stabil, wird aber in der Natur dennoch gut und relativ vollständig abgebaut, wie Tests belegten. „Glas aus Acetyl-Aminosäuren wurde in einer Kompostierungsanlage innerhalb von drei Wochen zersetzt“, berichten Xing und sein Team. Ein Glas aus einem mit Benzyloxycarbonylgruppen stabilisierten Peptid war nach 7,5 Monaten in der Erde vollständig abgebaut.
Auch in biologischen Geweben wird das biomolekulare Glas offenbar problemlos abgebaut, wie Tests mit Mäusen ergaben. In Haut oder Muskeln implantierte Glaskügelchen wurden im Verlauf mehrerer Wochen erst weich, dann immer kleiner, bis sie schließlich verschwanden. Dieser biochemische Abbau verursachte jedoch keine Entzündungs- oder Abstoßungsreaktionen, wie die Forscher feststellten. Das eröffnet auch die Möglichkeit, das Bioglas beispielsweise als Material für orthopädische Implantate einzusetzen.
Schritt zu umweltfreundlicheren Gläsern
„Unser Glasmaterial repräsentiert damit einen entscheidenden Schritt hin zur Entwicklung umweltfreundlicher Gläser aus biologischen Ausgangsstoffen“, konstatieren Xing und seine Kollegen. „Unsere in-vitro- und in-vivo-Experimente belegen, dass diese biomolekularen Gläser biokompatibel, kompostierbar, biologisch abbaubar und biorecycelbar sind.“ Dies eröffne neue Möglichkeiten, nützliche Materialien und die biologische Welt miteinander in Einklang zu bringen.
Die Forscher wollen nun daran arbeiten, diese biomolekularen Gläser weiterzuentwickeln und sie auch in größerem Maßstab herstellbar und einsetzfähig zu machen. „Noch ist unser biomolekulares Glas erst im Laborstadium, bis zu einer Kommerzialisierung in großem Maßstab ist es daher noch ein weiter Weg, erklärt Seniorautor Xuehai Yan. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.add8105)
Quelle: Chinese Academy of Sciences