Exotische Gebilde: Chemiker haben eine ganz neue Art von flüssigen Quasikristallen nachgewiesen. In diesen bilden Moleküle eine komplexe Anordnung von Zwölfecken, Dreiecken, Quadraten und Trapezen. Das Resultat ist ein quasiperiodisches zwölfeckiges Wabenmuster, das so noch nie beschrieben wurde. Hergestellt haben die Forschenden den neuartigen Flüssig-Quasikristall aus T-förmigen organischen Molekülen mit speziellen Eigenschaften. Sie vermuten, dass aus solchen Grundbausteinen noch weitere, potenziell nützliche Quasikristalle erzeugt werden können.
Eigentlich dürfte es Quasikristalle gar nicht geben, denn sie widersprechen den gängigen Regeln der Kristallstruktur: Statt der regelmäßigen, immer gleichen Grundeinheiten wechseln sich in ihrem Gitter Einheiten mit unterschiedlicher Symmetrie ab – ähnlich wie die fünfeckigen und sechseckigen Lederstücke bei einem Fußball. Diese erst 1982 entdeckten Exoten unter den Feststoffen sind in der Natur extrem selten, natürliche Quasikristalle wurden bisher nur in Meteoriten, in Blitzsintern und in im Relikt einer Atombombenexplosion gefunden.
T-förmige Moleküle als Grundbaustein
Einen neuartigen, sehr ungewöhnlichen Quasikristall haben nun Xiangbing Zeng von der Sheffield University in England und seine Kollegen erzeugt. Der neue Quasikristall ist nicht nur flüssig, sondern weist auch eine außergewöhnliche Anordnung seiner geometrischen Untereinheiten auf. „Bei unserem Fund handelt es sich um einen perfekt geordneten flüssigen Quasikristall. So ein Material war bisher noch nicht bekannt“, sagt Seniorautor Carsten Tschierske von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Basis des neuen flüssigen Quasikristalls bildet ein T-förmiges organisches Molekül. Sein Querbalken besteht aus einer steifen Kette ringförmiger Kohlenwasserstoffverbindungen, an deren Enden jeweils eine Kohlenwasserstoffkette baumelt. In der Mitte des Balkens hängt eine Kette aus Ethylenoxid-Molekülen mit einer negativ geladenen Endgruppe. Der Clou daran: Die drei Komponenten dieses T-Moleküls unterscheiden sich in ihrer Affinität zu polaren Wassermolekülen und apolaren Fetten.
„Weil die inkompatiblen, aber miteinander verbundenen Teile solcher T-förmigen Polyphile dazu neigen, sich auszuweichen, bilden sie sehr vielseitige Flüssigkristall-Strukturen in 1D, 2D und 3D“, erklären die Chemiker. Darunter sind verschiedene säulenartige und bienenwabenartige Strukturen.
Komplexe Struktur mit zwölfzähliger Symmetrie
Doch anders als bisherige Varianten solcher T-Moleküle zeigen die von Zeng und seinem Team erzeugten Flüssigkristalle keine echte Periodizität, sondern bilden eine quasikristalline Struktur. Analysen mittels Röntgenstreuung, Röntgenbeugung und Kalorimetrie enthüllten, dass der Quasikristall aus mehreren Zwölfecken aufgebaut ist, die wiederum aus einer Mischung von dreieckigen, quadratischen und trapezförmigen Zellen bestehen.
Damit bilden die T-Moleküle einen Quasikristall mit einer neuartigen, zwölffachen Rotationssymmetrie, wie die Forschenden berichten. Ihren Analysen zufolge entsteht diese komplexe Struktur, weil die Moleküle versuchen, die energetisch günstigste Anordnung einzunehmen. Um diese günstige Packung zu erreichen, maximieren die Moleküle die Zahl der stabilsten Konfiguration – der Zwölfecke. Dies gelingt aber nur, wenn sie die kristalltypische Periodizität aufgeben und dazwischen weitere geometrische Anordnungen einfügen.
Vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten
Nach Ansicht der Chemiker könnte es noch viele weitere Varianten solcher flüssigen Quasikristalle geben. „Mehr Beispiele davon könnten durch T-förmige Moleküle mit anderen Kombinationen von End- und Seitengruppen oder andern Querbalken gebildet werden“, erklären sie. Möglichweise ließen sich dadurch sogar Flüssig-Quasikristalle in der Struktur des berühmten Penrose-Parketts oder als ikosaedrische Quasikristalle erzeugen.
Solche flüssigen Quasikristalle sind jedoch nicht nur ein abstraktes Formenspiel – sie könnten auch ganz praktische Vorteile bieten. So könnten einige dieser Flüssig-Quasikristalle für die Herstellung von funktionalen, selbstorganisierenden und selbstheilenden Materialien verwendet werden. Andere könnten vielversprechende optische und elektronische Eigenschaften aufweisen. (Nature Chemistry, 2023; doi: 10.1038/s41557-023-01166-5)
Quelle: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg