Technik

Da Vincis längste Brücke im Test

280 Meter lange Konstruktion hätte selbst Wind und Erdbeben standgehalten

Nachbau der Brücke
Hätte Leonardo da Vincis Brücke über das Goldene Horn gehalten? Karly Bast und ihr Tam haben dies mit einem Nachbau geprüft. © Gretchen Ertl

Geniales Design: Im Jahr 1502 entwarf Leonardo da Vinci eine Brücke, die das Goldene Horn in nur einem Bogen überspannen sollte – einen fast 280 Meter breiten Meeresarm in Istanbul. Zwar wurde diese Brücke nie gebaut, doch US-Forscher haben nun untersucht, ob diese Konstruktion tragfähig und stabil gewesen wäre. Das Ergebnis: Das Design der Brücke war so durchdacht, dass sie sogar Wind und Erdbeben standgehalten hätte.

Leonardo da Vinci war ein geniales Allround-Genie. Er schuf einzigartige Kunstwerke wie die Mona Lisa und das letzte Abendmahl, studierte die menschliche Anatomie und die Natur. Gleichzeitig konstruierte er auch Maschinen, Fluggeräte und Bauwerke, die seiner Zeit weit voraus waren. Sein tiefes Verständnis für Mathematik, Mechanik und Statik machte ihn zu einem ebenso innovativen wie soliden Konstrukteur.

Leonardos Brückenentwurf
Da Vincis Entwurfszeichnungen der Brücke über das goldene Horn. © historisch

Eine Brücke über das Goldene Horn

So auch im Jahr 1502: Der osmanische Sultan Bayezid II. bat um Vorschläge für den Bau einer Brücke, die das damalige Istanbul mit dem Nachbarort Galata verbinden sollte. Die Konstruktion musste lang genug sein, um das Goldene Horn zu überspannen, den mehr als 200 Meter breiten Meeresarm, der die beiden Orte trennte.

Das Problem: Zu dieser Zeit gab es keine einzige Brücke, die eine so große Entfernung überspannen konnte. Denn gängige Konstruktionen aus Stein oder Holz nutzten halbkreisförmige Brückenbögen, die maximal 30 Meter weit werden konnten, ohne einzustürzen. Für die Brücke über das Goldene Horn wären demnach rund zehn solcher Bögen samt im Meeresgrund stehenden Pfeilern nötig gewesen.

In nur einem Bogen über das Meer

Nicht so bei da Vinci: Er schickte dem Sultan einen Brief, in dem er seine Version der gewünschten Brücke beschrieb – eine Konstruktion, die den Meeresarm in einem einzigen Bogen überspannen sollte. Eine Zeichnung dieses Entwurfs ist in einem seiner Notizbücher erhalten. „Das ist unglaublich ehrgeizig“, sagt Karly Bast vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Sie war rund zehnmal länger als die typischen Einbogenbrücken jener Zeit.“

Möglich wurde dies, weil da Vinci statt der herkömmlichen Halbkreisbögen einen langgestreckten, abgeflachten Bogen als Grundform nutzte. Zudem plante er, die beiden Enden der Brücke mit massiven, sich V-förmig verzweigenden Pfeilern an den Ufern zu verankern. Dass diese Konstruktionsform zumindest mit modernen Materialien durchaus tragfähig ist, belegt eine 2001 nach Leonardos Vorbild erbaute 110 Meter lange Fußgängerbrücke nahe Oslo.

Nachbau im Maßstab 1:500

Doch hätte da Vincis Brücke auch mit historischen Materialien gehalten? Hätte sie das Goldene Horn überspannenn können? Das haben nun Bast und ihre Kollegen genauer erforscht. Dafür untersuchten sie zunächst, welches Material für die Konstruktion geeignet wäre, denn da Vinci machte dazu keine näheren Angaben. Wie sie in statischen Berechnungen ermittelten, kam nur Stein als Baumaterial in Frage, Holz oder Ziegel hätten die Last nicht tragen können. Mithilfe eines 3D-Druckers produzierten sie daher im Maßstab 1:500 verkleinerte Blöcke, deren Masse und Stabilität proportional zu den originalgroßen Steinblöcken waren.

Brückenmodell
Übertragung von da Vincis Entwurf in Vorlagen für das verkleinerte Modell. © Karly Bast and Michelle Xie

Wie beim Brückenbau der damaligen Zeit üblich, fügten die Forscher ihre Blöcke zunächst mithilfe eines Stützgerüsts zusammen. Als letztes setzten sie den Schlussstein am höchsten Punkt des Bogens ein. „Das war ein kritischer Moment und wir mussten den Stein richtig hineinpressen“, berichtet Bast. Doch dann war der Bogen vollendet – und Leonardos Konstruktion blieb auch nach Entfernen des Gerüsts stabil.

„Die Steine werden dabei allein durch die Kompression zusammengehalten“, so Bast. „Es ist die Kraft der Geometrie, die das Ganze funktionieren lässt.“

Stabil selbst bei Wind und Erdbeben

Nach Ansicht der Forscher wäre Leonardos Brücke auch in ihrer Originalgröße stabil gewesen. Tests und Modellrechnungen ergaben, dass die Bogenform und vor allem die dicken, zweiteiligen Uferpfeiler selbst Wind standgehalten hätten. Sogar ein leichteres Erdbeben hätte der Brücke wahrscheinlich nichts anhaben können: Das Brückenmodell blieb auch dann stabil, als Bast und ihr Team die beiden Brückenköpfe seitlich hin und herbewegten.

„Dies ist ein wirklich starkes Konzept. Es ist gut durchdacht“, sagt Bast. „Da Vinci wusste, wie die physikalische Welt funktioniert.“ Ihrer Ansicht nach war da Vincis Brückenentwurf daher weit mehr als nur eine flüchtig hingekritzelte Idee. Sultan Bayezid II. allerdings war vor gut 500 Jahren anderer Meinung: Er hielt den Entwurf für so utopisch und gewagt, dass er sich für eine andere, herkömmlichere Konstruktion entschied.

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

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