Fundamentale Abweichung: Einer der kleinsten Atomkerne ist leichter als er nach offiziellem Referenzwert sein dürfte, wie die bisher genaueste Messung enthüllt. Demnach hat das Deuteron – ein Kern aus einem Proton und einem Neutron – eine deutlich geringere Masse als es der Referenzwert vorgibt. Damit mehren sich die Abweichungen fundamentaler Atombausteine gegenüber den offiziell festgelegten Richtwerten.
Die fundamentalen Bausteine der Materie – Protonen, Neutronen und Elektronen – prägen das Verhalten der Atome und Moleküle. Ihre Merkmale genau zu kennen, ist daher essenziell – auch für viele Naturkonstanten. Doch sie zu messen ist schwierig und mit großen Unsicherheiten behaftet. So haben Forscher in den letzten Jahren immer wieder erhebliche Abweichungen unter anderem beim Radius und der Masse des Protons von den Referenzwerten festgestellt.
Deuteron auf der „Waage“
Neue Diskrepanzen haben nun Forscher um Sascha Rau vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg auch für das Deuteron festgestellt – den Atomkern des schweren Wasserstoffs. Er besteht aus einem Proton und einen Neutron und erlaubt wegen seiner einfachen Struktur sensitive Tests grundlegender physikalischer Theorien. Darüber hinaus lässt sich aus der Masse des Deuterons auch die Masse des Neutrons – des zweiten Bestandteils der Atomkerne neben dem Proton – ableiten.
Um das Deuteron zu „wiegen“, nutzten die Forscher eine sogenannte Penningfalle. In ihr halten starke Magnetfelder die geladenen Atomkerne in der Schwebe und lenken sie auf Kreisbahnen. Die Umlaufzeit dieser Bahnen hängt von der Masse der Teilchen ab. Schwerere Partikel haben eine geringere Orbitalfrequenz als leichtere. Ähnlich wie bei einer Balkenwaage ermitteln die Wissenschaftler die Masse über ein „Eichgewicht“ – in diesem Falle ein sechsfach positiv geladenes Kohlenstoff-Ion.
Deutlich leichter als erwartet
„Wir haben je ein Deuteron und ein Kohlenstoff-Ion präpariert, abwechselnd eines davon aus seiner Speicherfalle in die dazwischen eingebaute Präzisionsfalle transferiert und seine Bewegung genauestens vermessen“, erklärt Rau. „Aus dem so erhaltenen Verhältnis der Frequenzen beider Ionen ergibt sich direkt die Masse des Deuterons in atomaren Einheiten.“ Eine atomare Einheit ist per Definition der zwölfte Teil eines Kohlenstoff-12-Isotops.
Das überraschende Ergebnis: Die Masse des Deuterons liegt diesen Messungen zufolge bei 2,013553212535 atomaren Einheiten. Dieser Wert weicht damit um 4,5 Standardabweichungen von dem zurzeit gültigen Referenzwert ab – er ist zu gering. Das Deuteron ist demnach deutlich leichter, als es sein dürfte. Gleichzeitig jedoch ist die aktuelle Messung die bislang mit Abstand genaueste: „Mit einer relativen Unsicherheit von acht parts per trillion ist dies der präziseste direkt gemessene und in atomaren Einheiten angegebene Wert“, konstatieren die Forscher.
Ionenmessung bestätigt Abweichung
Wie aber ist die Diskrepanz zu erklären? Könnte womöglich ein systematischer Fehler der Messung dahinterstecken? Um das zu überprüfen, führten Rau und sein Team eine weitere Messung durch – diesmal mit dem Deuterium-Ion HD+. Dieses besteht aus einem Deuteronkern und einem zusätzlichen Proton. Zusätzlich verglichen sie die Ergebnisse der Messungen mit den schon früher ermittelten Massen für das Proton, das Elektron sowie mit der Bindungsenergie solcher Drei-Teilchen-Systeme.
Diese Überprüfung ergab für das HD+-Ion eine Masse von 3,021378241576 atomaren Masseneinheiten. „Das Resultat stimmt hervorragend mit unserem direkt gemessenen Wert überein“, sagt Raus Kollege Sven Sturm. „Außerdem passt das aus unseren Daten abgeleitete Massenverhältnis von Deuteron zu Proton sehr gut zu dem von einer anderen Gruppe direkt gemessenen Wert.“
„Referenzwerte sollten korrigiert werden“
Nach Ansicht der Forscher bestätigt dies, dass das Deuteron tatsächlich leichter ist als bislang im Referenzwert angegeben. Nach dem Proton sollte damit auch der Wert für diesen leichten Atomkern korrigiert werden, so Rau und seine Kollegen. Ihre neuen Messdaten verringern zudem die bisher bei den Massen leichter Kerne bestehenden Diskrepanzen erheblich.
Um jedoch alle diese Abweichungen vollständig aufzuklären, sind weitere hochpräzise Massenmessungen – direkt in atomaren Einheiten – an überschwerem Wasserstoff (Tritium) und leichtem Helium erforderlich, wie sie erklären. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2628-7)
Quelle: Max-Planck-Institut für Kernphysik