Nach 120 Jahren aufgeklärt: Die Grignard-Reaktion ist eine der wichtigsten in der organischen Chemie. Doch den Mechanismus dahinter haben Chemiker erst vor kurzem enträtselt. Das Überraschende dabei: Der entscheidende Akteur ist nicht ein Molekül, sondern eine wechselnde Gruppe von Verbindungen und Reaktionen. Wie beim „Mord im Orientexpress“ sind alle zusammen die „Täter“, erklären die Forscher.
Die Entdeckung der Grignard-Reaktion im Jahr 1900 gilt als die Geburtsstunde der modernen Organischen Chemie. Denn durch sie wurde es erstmals möglich, gezielt Kohlenstoffatome miteinander zu verbinden. Das entscheidende Reagenz dafür entdeckte der französische Chemiker Victor Grignard, als er Magnesiumpulver in eine Lösung aus Bromalken und Diethylether gab. Das Resultat war das Grignard-Reagenz, eine Komplex-Verbindung, die verschiedene Kohlenwasserstoffe wie Ketone, Aldehyde oder Ester zu Alkoholen machen kann.

Ein Kohlenstoffatom ans andere
Der Clou daran: „Wenn man ein Molekül in ein anderes umwandeln will, dann muss man chemische Bindungen zwischen Atomen trennen und andere neu knüpfen“, erklärt Odile Eisenstein von der Universität Oslo. „Doch die Bindungen zwischen Kohlenstoffatomen sind sehr stark. Victor Grignard hat uns die erste Reaktion gegeben, die diese Bindungen lösen und neue bilden kann.“ Bis heute beruht die Herstellung unzähliger organischer Chemikalien auf der Grignard-Reaktion.
Doch trotz der Bedeutung dieser Reaktion blieb der genaue Mechanismus dahinter 120 Jahre lang ungeklärt. Zwar war klar, dass es sich um eine nukleophile Addition handelt, bei der das Grignard-Reagenz ein Kohlenstoffatom mit negativer Teilladung an das Kohlenstoffatom einer Carbonyl-Gruppe (CO-) anhängt. „Aber für uns Chemiker war es frustrierend, nicht zu wissen, wie diese Reaktion auf molekularer Ebene funktioniert“, erklärt Eisenstein.