Mysteriöse Trübung: Der italienische Zitronenlikör Limoncello ist nicht nur wegen seines feinen Geschmackes beliebt, er ist auch chemisch eine Besonderheit. Denn in ihm bilden Wasser, Alkohol und Zitronenöl eine Emulsion, die erstaunlich lange stabil bleibt – ohne jedes Bindemittel. Jetzt haben Chemiker erstmals die Mikrostruktur dieser Mischung näher bestimmt – und überraschendes herausgefunden. Denn die Öltröpfchen im Likör sind ungewöhnlich klein und stabil.
Nach der Weihnachtsgans, der französischen Foie Gras oder dem italienischen Festtags-Menü schmeckt er besonders gut: ein eiskalter Limoncello als flüssiger Nachtisch. Der süße, milchig-neongelbe Zitronenlikör hat ein Süditalien eine lange Tradition, ist aber auch anderswo in Europa beliebt. „Viele Italiener stellen den Zitronenlikör selbst her, indem sie Zitronenschalen mehrere Wochen in Alkohol einlegen“, erklärt Leonardo Chiappisi von der TU Berlin.
Dauerhafter „Ouzo-Effekt“
Doch auch wissenschaftlich ist der Limoncello durchaus spannend: „Uns interessiert vor allem der sogenannte ‚Ouzo-Effekt‘ des Limoncello“, erklärt Chiappisi. Benannt ist dieser Effekt nach dem Ouzo, einem Anis-Schnaps, der normalerweise eine klare Flüssigkeit ist. Durch Zugabe von Wasser aber wird er schlagartig milchig und undurchsichtig. „Uns interessierten die physikalischen Grundlagen für diese stabile Mischung aus Alkohol, Öl und Wasser“, sagt Chiappisi.
Denn normalerweise stoßen sich Öl und Wasser ab und müssen erst durch Zugabe eines Emulgators oder eines Tensids zu einer stabilen Mischung gezwungen werden. Beim Limoncello aber bleibt diese Emulsion aus Zitrusölen, Wasser und Alkohol auch ohne Bindemittel stabil. Die Trübung bleibt erhalten und es setzt sich auch nach längerem Stehen nichts ab.
Likör im Neutronenstrahl
Um hinter Geheimnis der dauerhaften Trübung dieses Likörs zu kommen, fuhren Chiappisi und sein Team modernste Technik auf: Sie analysierten die Zusammensetzung und Mikrostruktur des Limoncellos mithilfe der Neutronenstreuung. „Der Neutronenstrahl reagiert auf die Anzahl der Neutronen in einem Molekül. Dementsprechend verlässt er die Probe in einem anderen Winkel als er eintritt und ermöglicht uns so zu rekonstruieren, wie die Struktur aussieht“, erklärt Chiappisi.
Für ihre Analysen reicherten die Forscher das Wasser und den Alkohol des Likörs mit Deuterium an, einer Wasserstoffvarianten mit einem zusätzlichen Neutron im Atomkern. Den Wasserstoff im Zitronenöl dagegen ließen sie unverändert. Das ermöglichte es ihnen, zwischen den unterschiedlichen Substanzen differenzieren zu können.
Das Geheimnis der Tröpfchen
Das Ergebnis: Die ungewöhnlich haltbare Trübung des Limoncello kommt durch die winzige Größe seiner Öltröpfchen zustande. Das Zitronenöl bildet in dieser Dreiermischung aus Wasser, Alkohol und Öl Tropfen mit einem Radius von nur 100 Nanometern. Sie sind damit so klein, dass sie lange in der Schwebe bleiben können – und deutlich kleiner als von anderen bekannten Dreiermischungen von Wasser, Alkohol und Öl, wie die Forscher berichten.
Und noch etwas enthüllten die Untersuchungen: Zur Überraschung der Wissenschaftler beeinflussen weder der Zuckergehalt noch die Temperatur die Mikrostruktur des Limoncello. Zwar wird der Likör normalerweise eiskalt getrunken, aber selbst bei Raumtemperatur tut dies seiner typischen Trübung keinen Abbruch. Offenbar stabilisiert der Alkohol die Öltröpfchen selbst unter solche Bedingungen, wie Chiappisi und sein Team feststellten.
Die Forscher konnten bei ihren Experimenten auch ein Geschmacksgeheimnis des Zitronenlikörs lüften. Bei einem Wassergehalt von rund 50 Prozent, wie es einem hochwertigen Limoncello entspricht, sind nur etwa zwei Drittel des Öls in Tröpfchen eingeschlossen. Dadurch aber liegt der Rest des ätherischen Öls liegt frei vor und kann als Zitronenduft freigesetzt werden. Das könnte dem Limoncello seinen besonders intensiven Duft und Geschmack verleihen.
Es bleibt rätselhaft
Warum allerdings der Limoncello so ungewöhnlich kleine Öltröpfchen hat, bleibt vorerst ein Rätsel. „Das Thema ist komplex, und es wird noch einiges an Forschung brauchen, bis wir das Phänomen verstanden haben“, sagt Chiappisi. Wenn es soweit ist, werden die Ergebnisse aber nicht nur für Likörhersteller und -Liebhaber wichtig sein – auch die chemische Industrie könnte davon profitieren.
„Genau diese Eigenschaft, wasserabweisende Chemikalien in einer Emulsion mit Wasser zu halten, ist für die Spezialchemieindustrie interessant“, sagt Chiappisi. „Denn bei einer solchen Mischung müsste man keine Tenside oder Emulgatoren zusetzen, die später wieder aufwändig entfernt und entsorgt werden müssen. Somit könnte diese Eigenschaft von Zitrusölen helfen, umweltfreundliche Lösungsmittel, Kunststoffe oder auch Insektenschutzmittel zu entwickeln.“ (ACS Omega, 2018; doi: 10.1021/acsomega.8b01858)
Quelle: Technische Universität Berlin